Donnerstag, 24. September 2009

Bin ich zu moralisch?

Wohl die meisten meiner Beiträge in diesem Blog gehören zur Kategorie «Moralisches»; und meistens geht es dann gegen den Wirtschaftsliberalismus. Daher taucht die Frage auf: Bin ich zu moralisch? gibt es keine besseren Themata? (kurzer Exkurs: mein Rechtschreibprogramm kennt keine Themata!)
Schließlich meine ich, ganz im Gegensatz zum Slogan einer Wirtschaftszeitung:
Es gibt nichts Langweiligeres als Wirtschaft! (Nein, nicht einmal Sport ist noch langweiliger.)

Aber dann erlebe ich es wieder hautnah. In meiner Therapiegruppe habe ich die Frage gestellt, was die Patienten im Leben beschwert. Bei den meisten ist es das Arbeitsamt (momentan wird es wohl «Arge» genannt). Die Menschen sehen sich dort mißachtet, werden zu sinnlosen Aktivitäten gedrängt, aussichtslosen Bewerbungen etwa in großen Mengen, erhalten aber bei der wirklichen Arbeitssuche keine Hilfe. Und die meisten wollen wirklich arbeiten. Auf Leistungen, die ihnen zustehen, werden sie nicht aufmerksam gemacht, Anträge bleiben unbehandelt liegen, Akten verschwinden. Wenn sie selbst jedoch einmal etwas nicht korrekt fristgerecht einreichen, was von ihnen gefordert wird, setzt es sofort Sanktionen. Und sie werden entmutigt, indem ihnen suggeriert wird, sie selbst seien schuld an ihrer Arbeitslosigkeit. Dabei kann doch, wer immer die Zahlen zur Kenntnis nimmt, sehen, daß in unserem Wirtschaftssystem weniger Menschen zur Arbeit gebraucht werden, zur Produktion und Wartung der Güter also und all dem, was sonst noch bezahlt wird, als zum Konsum ebendieser Güter, das also in unserer Wirtschaft Arbeitslose für den Konsum notwendig sind. Das politische Problem aber, das Skandal der Arbeitslosigkeit, versucht man gerne zu lösen durch «blaming the victim – Opferbeschuldigung». Ist das nicht ein Verstoß gegen das 8. Gebot: Du sollst nicht falsches Zeugnis geben! – ?

So werde ich wohl auch weiterhin so öde moralisch bleiben.

5 Kommentare:

  1. Vieles vom Geschriebenen kann ich absolut nachvollziehen und ich gebe dir uneingeschränkt Recht!
    Doch eine Bitte: In den ArGe's sitzen Menschen, die am untersten Ende der "ausführenden Gewalt" an "Recht und Gesetz" gebunden sind und die Weisungen von der "legislativen Gewalt" und ihren Vorgesetzten und Vorgesetzteren erhalten.
    Ich möchte dort nicht (mehr) arbeiten!

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  2. Warum etwas «moralisch» sein soll, wenn es «meistens gegen den Wirtschaftsliberalismus» gerichtet ist (so, als ob Wirtschaftsliberalismus unmoralisch wäre), erschließt sich mir nicht.

    Ebenso, daß es nichts Lanweiligeres als Wirtschaft gäbe. Daraus spricht m.E. eine blasiert-intellektuelle Wahrnehmung der Realität, die nun eben darin besteht, daß Menschen durch dieses ihr Wirtschaften die Existenzgrundlagen für ihr Leben schaffen. Und zwar durch produktives Wirtschaften — nicht durch staatlich alimentierte Jobs, in welchen — sicherlich edel, aber unproduktiv — Arbeitslose professionell bemitleidet werden.

    Und was Ihre Wahrnehmung von Arbeitslosen betrifft, fällt mir auch eine gewisse Einäugigkeit auf. Nun ja, jeder sieht, was er sehen will ...

    Daß es offenbar nicht nur Arbeitslose gibt, die lieber arbeiten würden, sondern ein Berufs-Prekariat, das sich schon recht gemütlich im Hartz IV-Empfang eingerichtet hat, können Sie z.B. hier nachlesen. Wenn Sie wollen.

    Und dann darüber meditieren, ob der von Ihnen vorgeschlagene Adressat für Zerknirschungen hinsichtlich des 8. Gebotes nicht vielleicht doch woanders zu suchen ist.

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  3. «Daß es offenbar nicht nur Arbeitslose gibt, die lieber arbeiten würden, sondern ein Berufs-Prekariat, das sich schon recht gemütlich im Hartz IV-Empfang eingerichtet hat, können Sie z.B. hier nachlesen. Wenn Sie wollen.»
    Will ich nicht!

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  4. Schließlich kenne ich die Leute, ich arbeite mit ihnen.
    Und wenn einmal einer darunter ist, der es dem Arbeitsmarkt glaubt, daß er nicht gebraucht werde, so verüble ich es nicht ihm.

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  5. Nun, wie ich gerade beim Überprüfen des Links merke: Sie müssen im PDF-Reader auf Seite 54 (= Seite 56f. der Heftnumerierung) scollen, zum Artikel "Sozialneid nach unten" von Ellen Kositza. Den wollte ich Ihnen eigentlich zur Lektüre anempfehlen. Daß die Zumutung, eine ganze Ausgabe von «eigentümlich frei» durchzulesen, von Ihnen nicht mit Begeisterung wahrgenommen würde — nun, diesen Verdacht hätte ich auch ohne Ihr genervtes Abwinken gehabt.

    Obwohl: schaden würde es Ihnen nicht. Ganz sicher nicht, sogar! Vielleicht verunsichern. Was aber (wenigstens aus meiner Sicht) durchaus Zweck der Übung wäre ...

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