Sehr geehrter Herr Professor Küng,
Ihren
Offenen Brief habe ich mit Interesse gelesen. Bitte gestatten Sie mir eine offene Antwort:
«Vertan die Annäherung an die evangelischen Kirchen: Sie seien überhaupt keine Kirchen im eigentlichen Sinn, deshalb keine Anerkennung ihrer Ämter und keine gemeinsamen Abendmahlsfeiern möglich», lese ich. Meiner Kenntnis nach beanspruchen die evangelischen Kirchen in Deutschland gar nicht, ein Amt in apostolischer Sukzession zu besitzen, lehnen ein solches gar grundsätzlich ab. Darum gibt es in ihnen gar keine Ämter, die man anerkennen könnte.
«Der Papst führt eine vorkonziliare Fürbitte für die Erleuchtung der Juden wieder ein», lese ich. Ich erinnere mich, daß der Papst eine vorkonziliare Fürbitte für die Erleuchtung der Juden abgeschafft, durch eine unbestimmtere Formulierung ersetzt hat.
«Der Papst ... nimmt notorisch antisemitische schismatische Bischöfe in die Kirche auf», lese ich, womit doch nur Bischöfe der Pius-Bruderschaft gemeint sein können. Von
einem dieser vier Bischöfe wurden nach der Aufhebung der Exkommunikation Äußerungen bekannt, die es begründen, ihm Antisemitismus zu unterstellen. Einen Zusammenhang zwischen der Exkommunikation der vier und dem später dann offenkundig gewordenen Antisemitismus des einen gibt es nicht.
Von
«Benedikts Regensburger Rede, in der er, schlecht beraten, den Islam als Religion der Gewalt und Unmenschlichkeit karikiert», lese ich. Ich erinnere mich, daß Papst Benedikt damals nicht den Islam
«karikiert», sondern Kaiser Manuel II.
zitiert hat, der seinerseits den Islam nicht «
karikiert», sondern sehr direkt angegriffen hat.
«Vertan die Chance, mit den modernen Wissenschaften Frieden zu schließen: durch unzweideutige Anerkennung der Evolutionstheorie ...», lese ich. Sie selbst haben das päpstliche Lehramt in Sachen der Glaubenslehre und der Moral einst in Zweifel gezogen. Nun wollen Sie, daß der Papst auch noch ein Lehramt in Sachen der Naturwissenschaft ausübt:
«durch unzweideutige Anerkennung der Evolutionstheorie ...».
«Vertan die Annäherung an die evangelischen Kirchen» und
«Er realisiert nicht die in offiziellen ökumenischen Dokumenten (ARCIC) vorgezeichnete Verständigung mit der Anglikanischen Kirche», lese ich einerseits,
«Er hat außerhalb der katholischen Kirche illegal ordinierte Bischöfe der traditionalistischen Pius-Bruderschaft, die das Konzil in zentralen Punkten ablehnen, ohne Vorbedingungen in die Kirche aufgenommen» andererseits. Das heißt doch, daß wir anerkennen müssen, daß er die Annäherung an die Piusbruderschaft nicht vertan, sondern die Verständigung mit ihr wirklich realisiert hat. Und die Piusbruderschaft erkennt sehr viel mehr ökumenische Konzilien an als die evangelischen Kirchen und als die Anglikanische Kirche.
Und Sie selbst, Herr Professor Küng, haben sich einst in den Ruf gesetzt, in einem zentralen Punkt das I. Vaticanum nicht anzuerkennen; heißt das also, daß Sie jetzt das I. Vaticanum eindeutiger anerkennen als die Bischöfe der Pius-Bruderschaft das II.?
«Vertan die Chance, den Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils endlich auch im Vatikan zum Kompass der katholischen Kirche zu machen und ihre Reformen voranzutreiben», lese ich einerseits,
«Er fördert mit allen Mitteln die mittelalterliche Tridentinische Messe und feiert selber die Eucharistiefeier gelegentlich auf Latein ...» andererseits. Tridentinisch ist mittelalterlich? Ein Mittelalter, das vom späten XVI. Jahrhundert bis 1969 dauerte? Ich allerdings habe Papst Benedikt so verstanden, daß er die ins christliche Altertum zurückreichende Form der Liturgie wieder ermöglichen wollte, sei es nun ihre tridentinische Ausprägung, ihre örtliche Ausprägung in Lyon oder Braga oder eine der alten Orden.
Was aber das II. Vaticanum angeht, so hatte es doch gewollt, daß der Gebrauch der lateinischen Sprache bewahrt werde. Wenn also Papst Benedikt die Eucharistiefeier gelegentlich auf Latein feiert, so macht er damit dieses Konzil wieder ein wenig mehr zum
«Kompass der katholischen Kirche».
«Noch am 18. Mai 2001 sandte Ratzinger ein feierliches Schreiben über die schwereren Vergehen („Epistula de delictis gravioribus“) an alle Bischöfe. Darin werden die Missbrauchsfälle unter das „Secretum Pontificium“ gestellt, bei dessen Verletzung man sich schwere Kirchenstrafen zuziehen kann», lese ich.
Dieses Schreiben besagt nicht etwa, daß es den Opfern, ihren Vertrauenspersonen, den Zeugen oder sonst wem untersagt wird, über diese Taten zu sprechen, sondern es fordert nur die auch im staatlichen Bereich bei gerichtlichen Verfahren selbstverständliche Verschwiegenheit über den Prozeß selbst und die Prozeßakten.
«Er realisiert nicht die in offiziellen ökumenischen Dokumenten (ARCIC) vorgezeichnete Verständigung mit der Anglikanischen Kirche, sondern versucht verheiratete anglikanische Geistliche durch Verzicht auf die Zölibatsverpflichtung in die römisch-katholische Kirche zu locken», lese ich. Ich erinnere mich, daß der Wunsch nach Vereinigung mit der katholischen Kirche bei den anglikanischen Geistlichen selbst bestand, die durch das Vorgehen ihres Episkopats in Gewissensnöte geraten waren. Darf ein Papst Christen, die danach suchen, die Vereinigung mit der katholischen Kirche versagen?
«Papst Benedikt XVI. scheint sich zunehmend von der großen Mehrheit des Kirchenvolkes zu entfernen, das sich ohnehin immer weniger um Rom kümmert und sich bestenfalls noch mit Ortsgemeinde und Ortsbischof identifiziert», lese ich. Ich kann versichern, daß der Großteil der Katholiken, die ich kenne, ebenso wie ich selber Papst Benedikt keineswegs als entfernt erleben, sondern als uns sehr zugewandt, mehr noch denn
«Ortsgemeinde und Ortsbischof». Mit freundlichen Grüßen
W.H.W.