Samstag, 14. März 2015

Mittwoch, 4. März 2015

Franziskus – der überschätzte Papst

Übersetzung eines Beitrags von Antoine Bodar aus der niederländischen Zeitung "De Trouw" vom 22. Februar 2015


ESSAY
Was Papst Franziskus gut macht, hat er nicht selbst ausgedacht, und was er selbst ausdenkt, ist nicht gut, beweist Antoine Bodar. Der bejubelte Papst ist unverfroren und unangemessen mit den Armen umgegangen. „Jubler, mäßigt Eure Erwartungen!“

Nach dem demütigen Papst Benedikt schenkte der Heilige Geist dank dem Konklave der Kirche Papst Franziskus. Das ist nun zwei Jahre her. Nach dem schüchternen Professor aus Deutschland der echte Kerl aus Argentinien.

Der rechte Mann zur rechten Zeit in der Kirchengeschichte. Das bleibt aktuell: Schon sind da die Mitglieder, die hoffen und beten, daß der Heilige Geist ebensosehr dafür Sorge trägt, dieses Pontifikat eifrig in der Dauer zu beschränken.

Der Mut beider Päpste ist ähnlich, aber ihre Manieren sind gegensätzlich. Eine Frage des Stils. Der eine galant, der andere grob. Der eine zurückhaltend, der andere impulsiv. Der vorige eher in der Denkweise des Paulus, der heutige eher in der Direktheit des Petrus. Fürwahr: nun ein Papst mit dem Charakter des ersten, dessen jüngster Nachfolger er ist.

Und die Reaktionen in der Welt? Der Chor der vor allem unwissenden Jubler von heute umarmt Jorge Bergoglio in der gleichen Weise, wie er vorher Joseph Ratzinger verabscheut hat. Die Abkehr von damals verwandelt sich in die Zuwendung von heute.

Das Urteil geht stets der Erkenntnis weit voraus, nicht weniger als die Meinung der Information.


I – Kirche der Armen: ein unseliger Plan
Mehr als beachtenswert ist Papst Bergoglio lobenswert. Mit einer einzigen Gebärde seiner Überzeugungskraft hat er die Skandale verblassen lassen durch seinen Aufruf, allein den Kern des christlichen Glaubens zu betonen. Also nicht die Moral, sondern das, was der Moral vorausgeht: Die Erfahrung Gottes in Christus, dem menschgewordenen Wort.

Er spricht die Sprache des Volkes, um nicht zu sagen der Straße, wie es Demagogen zu eigen ist. Das zeichnet Menschenführung aus.

Er liebt die Armut noch mehr als Jesus Christus und Franz von Assisi, dessen Namen er gewählt hat. Zerschmetternder Eifer, der die beiden anderen in den Schatten stellt. Als Jesus Verschwendung vorgeworfen wurde, antwortete er, daß wir die Armen immer bei uns haben, aber ihn nicht. Franziskus hielt es in seiner Zeit so mit Christus und Seiner Kirche, daß er um Seinetwillen zwar eine besitzlose Bruderschaft gründete, ohne allerdings damit die ganze Kirche umbauen zu wollen.

„Alle Christen in jeder Gemeinschaft sind gerufen, Werkzeug Gottes für die Befreiung und die Entwicklung der Armen zu sein, damit diese vollständig in die Gesellschaft aufgenommen werden können“, schieb Papst Bergoglio in seiner Apostolischen Ermahnung „Evangelii Gaudium“ 2013. Darin zitiert er Papst Ratzinger so: „Die Entscheidung der Kirche für die Armen ,ist dem christologischen Glauben implizit, demnach Gott arm geworden ist für uns, um uns reich zu machen mit Seiner Armut.‘ Darum wünsche ich [Franziskus] eine arme Kirche für die Armen.“

Wird es ratsam sein, diesem Wunsch zu entsprechen? Ich denke nicht. Eine materiell arme Kirche kann die Armen trösten und ihnen nahe sein. Wenig oder nichts kann sie in Armut für die Armen tun. Mäßigkeit soll man erstreben, aber Armut? Wie soll der päpstliche Rat „Cor Unum“ noch Geld an Arme und Opfer verteilen können ohne Ansehen der Person, wo auch immer auf der Welt? Wie soll der Papst selbst evangelisieren und missionieren können, wenn ihm die üblichen, meist teuren Kommunikationsmittel genommen sind? Soll es etwa nicht mehr der Gerechtigkeit dienen, wenn auch die Armen aus ihrer Armut erlöst werden, statt uns allen Armut vorzuschreiben?

Es gehört zur menschlichen Fortsetzung der Schöpfung, den Verstand bei der Urbarmachung der Erde und den Erkenntnissen der Wissenschaft einzusetzen. Gehört dazu nicht, Gott sei Dank, der damit zusammenhängende Reichtum, den wir genießen – natürlich unter der Bedingung, daß er mit allen Menschen, die alle unsere Nächsten sind, geteilt wird? Das ist doch Nächstenliebe und Ursprung der Entwicklungshilfe zu Hause und anderswo.


II – Champion der selektiven Beobachter
Das erste Kennzeichen des derzeitigen Pontifikats ist Kontinuität. Was vorige Päpste begonnen haben, wird durch einen nachfolgenden Papst fortgesetzt. Johannes Paul II. klagte die Auswüchse des Kapitalismus an. Franziskus setzt die Anklage fort. Benedikt packte die Probleme bei der Vatikanischen Bank an, und Franziskus hat sie dann gelöst.

Während in der Zeit Johannes Pauls II. der Heilige Stuhl noch eine eher geschlossene Hofkultur pflegte, hat Benedikt ihn Stück für Stück in ein eher präsidiales System umgeformt, das durch seinen Rücktritt 2013 besiegelt worden ist. Gezwungen durch die Mißbrauchsskandale hat Benedikt die vatikanische Verschlossenheit in eine vatikanische Durchsichtigkeit umgeformt. Eingesehen wurde damals auch, daß die Teilnahme an der weltweiten Kommunikation notwendig ist. Zudem ist damals die Notwendigkeit erkannt worden, wie zur Zeit Pauls VI., die Kurie zu reformieren. Das alles setzt Franziskus auf seine Weise fort.

Die säkulare Welt abzuweisen ist schon lange nicht mehr der Weg, den die Kirche geht. Im Gegenteil. Sie tritt der Welt mit Interesse gegenüber. So suchte Benedikt das Gespräch mit Menschen der Wissenschaft wie dem Italiener Marcello Pera und dem Deutschen Jürgen Habermas. Und so tritt jetzt Franziskus als der Kämpfer für die Exzellenz der Armut auf – der anscheinend einzigen Speerspitze seines Pontifikats.

Held
Papst Bergoglio hält keine Reden über die Lehre der Kirche, doch kehrt diese wieder in Predigten und Interviews. Auch dann scheint immer Kontinuität auf, doch darauf schaut die säkulare Welt nicht. Als Held der Heiden und Champion der selektiven Zuhörer hat er das von ihm selbst gemachte Bild zu erfüllen. Taugte dazu noch vor kurzem die Kirche nicht, und Papst Ratzinger erst recht nicht, gegenwärtig taugt dazu, der Kirche zum Trotz, Papst Bergoglio.

Dennoch spricht er über den Teufel, wendet er sich gegen die Gendertheorie, plädiert er für die Familie von Mann und Frau und Kindern, lehnt Abtreibung und Euthanasie ab. Dem gegenüber steht, daß jede Aussage, die seine pastorale Haltung bezeugt, wohlwollend aufgenommen wird. So galt die Flugzeugrede über gleichgeschlechtliche Liebe nicht Menschen, die Homosexualität praktizieren, sondern zölibatär lebenden Priestern mit dieser Neigung. Und die Flugzeugrede über Kaninchen bezog sich einfach nur auf die Lehre der Kirche von der verantworten Elternschaft aufgrund ihres eigenen Gewissens.

Es bleibt, daß Benedikt XVI. vor allem der Lehrer war, der die Lehre erneut auslegte, und daß Franziskus vor allem der Pastor ist, der vom täglichen Leben ausgehend spricht. Der Ausgangspunkt des besonnenen Lehrers ist mithin ein anderer als der des spontanen Pastors. Denn die Mutter Kirche handelt in der gesund zu nennenden Spannung zwischen Lehre und Leben, Theorie und Praxis, Ideal und Wirklichkeit. Das eigene, allerdings richtig entwickelte Gewissen hat dabei das letzte Wort.

Veranlagung und Vorliebe
Der vorige Papst ist eher Theoretiker, der jetzige eher Praktiker. Der erste hat eher den Charakter Marias, der zweite den ihrer Schwester Martha. Sie verhalten sich zueinander wie das kontemplative und das praktische Leben. Darin unterscheiden sich die beiden Päpste – nach ihrer Veranlagung und ihrer Vorliebe.

Ein Franziskus von Herzen gegönnter Umstand ist der Abschluß des Seligsprechungsverfahrens von Erzbischof Oscar Romero von San Salvador, der 1980 bei der Zelebration der Heiligen Messe ermordet wurde. Ohne Zweifel ein Geistesverwandter dieses Papstes. Aber heißt das jetzt, daß die Befreiungstheologie, die vom Marxismus ausgeht, in Rom angekommen ist? Keinesfalls!

Wohl hat Johannes Paul II. schon die Solidarität mit den Armen zur ersten Entscheidung der Kirche erklärt, auch aufgrund eines Buches des peruanischen Priesters Gustavo Gutiérrez, mit dem der von Benedikt ernannte Präfekt der Glaubenskongregation, Gerhard Ludwig Müller, 2004 „An der Seite der Armen. Theologie der Befreiung“ geschrieben hat. Auch darin also Kontinuität.


III – Das Volk ist so grob/unanständig wie sein Hirte
Das zweite Kennzeichen des gegenwärtigen Pontifikats ist der Stilbruch und auch der Niedergang des Stils. Umso mehr, weil Bergoglio so gut bei einem Volk rüberkommt, das die eigene Lumpigkeit in der des Papstes wiedergespiegelt sieht.

Nicht, daß der Papst die Messe nicht ehrfürchtig und sorgfältig zelebrieren würde. Davon können viele Priester lernen. Aber Gefühl für Liturgie hat er nicht, ebensowenig für Kunst und Musik. Auch Humor und Ironie scheinen zu fehlen. Weder Feiern noch Feste sind seine Stärke. Alles, was nach Spektakel riecht, ist ihm fremd, wenn nicht zuwider. Aber diese Dinge kann man jemandem noch nicht zum Vorwurf machen. Der eine hat das eine, der andere hat das andere Talent.

Papst Franziskus ist wie Papst Benedikt eine authentische Person. Er bleibt bei sich selbst. Die Frage ist freilich, ob seine Echtheit nicht mit einem gewissen Maß an Anpassung zusammengehen kann. Ist es nicht ein üblicher Brauch, daß Fürsten und Präsidenten und andere hochstehende Personen sich bestimmten Regeln oder Protokollen unterwerfen und sich nicht darüber erheben? Letzteres tun nur Diktatoren.

Willkür
Wenn Bergoglio sich in dieser Hinsicht etwas fügsamer zeigte, würde er für Ruhe um sich sorgen und damit für den Erfolg seiner Regentschaft. Impulsivität, Spontanität und Improvisationssucht tragen nicht zur Transparenz der Weltkirche bei.

Dazu kommt augenscheinlich eine gewisse Willkür von seiner Seite. Welches Kriterium liegt der Ernennung der letzten Kardinäle zugrunde, die in der letzten Woche kreiert worden sind? Daß er die Politik von Johannes Paul II. fortsetzt, solche Ernennungen stärker über die Welt auszubreiten, liegt auf der Hand. Europa säkularisiert sich rapide. Die meisten Katholiken wohnen in Südamerika. Aber die vollzogene Wahl läßt Scharfsinn vermissen und hat etwas von einem Hexenmeister, der hier und da ein Geschenk durch den Schornstein aufsteigen läßt – ohne Beratung mit andern und höchstens bloß als Belohnung für ein dem Papst wohlgefälliges Betragen.

Auf dem Petersplatz geht Franziskus herum wie ein Großvater, der hier küßt und dort streichelt – der ideale Opa. Innen, unter Mitarbeitern, verhält er ich wie ein harter General, der eine Republik übernommen hat, die ihm nicht paßt.

Im Mund führt er die bischöfliche Kollegialiät. Tatsächlich entscheidet er allein. Er legt Ortbischöfen Steine in den Weg, die oft wegen seines vermeintlich andern Denkens gegen ihn ausgespielt werden. Nach außen scheint er mit der Demokratie zu sympathisieren, nach innen ist er ein Autokrat. Wer nicht seiner Meinung ist oder zu viel widerspricht, den enthebt er seiner Funktion und schickt ihn weg. Er ist der Papst des kurzen Prozesses und der großen Ungeduld.

Mitleid
Höhepunkte des Pontifikat Bergoglios bis jetzt sind in meinen Augen seine Reise nach nach Lampedusa 2013 und seine Reise in das Heilige Land 2014. In Bethlehem hat er die Klagemauer der Palästinenser auf dem Weg zur Klagemauer der Juden geehrt – beide Mauern. Auf Lampedusa hat er seine tiefste Berufung gezeigt: sein Mitleid mit den Flüchtlingen, seine Nähe zu den Zertretenen, sein Trost für die Ärmsten.

Tiefpunkt ist des Papstes Schimpfrede zum Hochfest des Friedensfürsten – einige Tage vor dem letzten Weihnachtsfest. Fünfzehn Krankheiten stellte der Heilige Vater bei der Kurie fest, hielt aber die Schlußfolgerung nicht im Inneren des Hauses. Offensichtlich galt die Botschaft nicht nur der römischen Kurie sondern auch den örtlichen Kurien und darüber hinaus der ganzen Geistlichkeit – und allen Gläubigen und allen Menschen. Warum wurde das nicht weniger unpassend bei anderer Gelegenheit gesagt? Eine Donnerpredigt hat er gehalten, über die viele zu Unrecht Schadenfreue empfanden – im Kern eine Schimpferei, die bei den eigenen Mitarbeitern die Herzen verschließt und Resignation hervorruft in Erwartung des nächsten Papstes.

Wie verantworte ich das hier von mir Dargelegte? Es ist die Klarheit, von der die Welt sagt, daß sie danach schmachtet. Außerdem die Behutsamkeit zu vermeiden, daß der Kirche noch einmal widerfährt, was durch den Tod von Johannes XXIII. geschehen ist: die Geiselnahme eines verstorbenen Papstes durch Menschen, die dann genau wissen, was so jemand, meist nach ihrer eigenen Deutung, wirklich beabsichtigte.

Die unbedachten Jubler sollten ihre Erwartungen an Franziskus mäßigen! Das beugt Enttäuschungen vor.


Antoine Bodar (1944) ist u. a. Philosoph, Priester und Kunsthistoriker. Er wohnt gelegentlich in Amsterdam und meistens in Rom, im päpstlichen Priesterkolleg „Santa Maria dell’Anima“

ÜBERSETZT UND