Freitag, 27. März 2015
Samstag, 14. März 2015
Mittwoch, 4. März 2015
Franziskus – der überschätzte Papst
Übersetzung eines Beitrags von Antoine Bodar aus der niederländischen Zeitung "De Trouw" vom 22. Februar 2015
ESSAY
Was Papst Franziskus
gut macht, hat er nicht selbst ausgedacht, und was er selbst ausdenkt, ist
nicht gut, beweist Antoine Bodar. Der bejubelte Papst ist unverfroren und
unangemessen mit den Armen umgegangen. „Jubler, mäßigt Eure Erwartungen!“
Nach
dem demütigen Papst Benedikt schenkte der Heilige Geist dank dem Konklave der
Kirche Papst Franziskus. Das ist nun zwei Jahre her. Nach dem schüchternen
Professor aus Deutschland der echte Kerl aus Argentinien.
Der rechte Mann zur rechten Zeit in der Kirchengeschichte. Das bleibt aktuell: Schon sind da die Mitglieder, die hoffen und beten, daß der Heilige Geist ebensosehr dafür Sorge trägt, dieses Pontifikat eifrig in der Dauer zu beschränken.
Der Mut beider Päpste ist ähnlich, aber ihre Manieren sind gegensätzlich. Eine Frage des Stils. Der eine galant, der andere grob. Der eine zurückhaltend, der andere impulsiv. Der vorige eher in der Denkweise des Paulus, der heutige eher in der Direktheit des Petrus. Fürwahr: nun ein Papst mit dem Charakter des ersten, dessen jüngster Nachfolger er ist.
Und die Reaktionen in der Welt? Der Chor der vor allem unwissenden Jubler von heute umarmt Jorge Bergoglio in der gleichen Weise, wie er vorher Joseph Ratzinger verabscheut hat. Die Abkehr von damals verwandelt sich in die Zuwendung von heute.
Das Urteil geht stets der Erkenntnis weit voraus, nicht weniger als die Meinung der Information.
Der rechte Mann zur rechten Zeit in der Kirchengeschichte. Das bleibt aktuell: Schon sind da die Mitglieder, die hoffen und beten, daß der Heilige Geist ebensosehr dafür Sorge trägt, dieses Pontifikat eifrig in der Dauer zu beschränken.
Der Mut beider Päpste ist ähnlich, aber ihre Manieren sind gegensätzlich. Eine Frage des Stils. Der eine galant, der andere grob. Der eine zurückhaltend, der andere impulsiv. Der vorige eher in der Denkweise des Paulus, der heutige eher in der Direktheit des Petrus. Fürwahr: nun ein Papst mit dem Charakter des ersten, dessen jüngster Nachfolger er ist.
Und die Reaktionen in der Welt? Der Chor der vor allem unwissenden Jubler von heute umarmt Jorge Bergoglio in der gleichen Weise, wie er vorher Joseph Ratzinger verabscheut hat. Die Abkehr von damals verwandelt sich in die Zuwendung von heute.
Das Urteil geht stets der Erkenntnis weit voraus, nicht weniger als die Meinung der Information.
I – Kirche der Armen: ein
unseliger Plan
Mehr als beachtenswert
ist Papst Bergoglio lobenswert. Mit einer einzigen Gebärde seiner Überzeugungskraft
hat er die Skandale verblassen lassen durch seinen Aufruf, allein den Kern des
christlichen Glaubens zu betonen. Also nicht die Moral, sondern das, was der
Moral vorausgeht: Die Erfahrung Gottes in Christus, dem menschgewordenen Wort.
Er spricht die Sprache
des Volkes, um nicht zu sagen der Straße, wie es Demagogen zu eigen ist. Das
zeichnet Menschenführung aus.
Er liebt die Armut
noch mehr als Jesus Christus und Franz von Assisi, dessen Namen er gewählt hat.
Zerschmetternder Eifer, der die beiden anderen in den Schatten stellt. Als
Jesus Verschwendung vorgeworfen wurde, antwortete er, daß wir die Armen immer
bei uns haben, aber ihn nicht. Franziskus hielt es in seiner Zeit so mit
Christus und Seiner Kirche, daß er um Seinetwillen zwar eine besitzlose
Bruderschaft gründete, ohne allerdings damit die ganze Kirche umbauen zu
wollen.
„Alle Christen in
jeder Gemeinschaft sind gerufen, Werkzeug Gottes für die Befreiung und die
Entwicklung der Armen zu sein, damit diese vollständig in die Gesellschaft
aufgenommen werden können“, schieb Papst Bergoglio in seiner Apostolischen
Ermahnung „Evangelii Gaudium“ 2013. Darin zitiert er Papst Ratzinger so: „Die
Entscheidung der Kirche für die Armen ,ist dem christologischen Glauben
implizit, demnach Gott arm geworden ist für uns, um uns reich zu machen mit
Seiner Armut.‘ Darum wünsche ich [Franziskus] eine arme Kirche für die Armen.“
Wird es ratsam sein, diesem
Wunsch zu entsprechen? Ich denke nicht. Eine materiell arme Kirche kann die
Armen trösten und ihnen nahe sein. Wenig oder nichts kann sie in Armut für die
Armen tun. Mäßigkeit soll man erstreben, aber Armut? Wie soll der päpstliche
Rat „Cor Unum“ noch Geld an Arme und Opfer verteilen können ohne Ansehen der
Person, wo auch immer auf der Welt? Wie soll der Papst selbst evangelisieren
und missionieren können, wenn ihm die üblichen, meist teuren Kommunikationsmittel
genommen sind? Soll es etwa nicht mehr der Gerechtigkeit dienen, wenn auch die
Armen aus ihrer Armut erlöst werden, statt uns allen Armut vorzuschreiben?
Es gehört zur menschlichen Fortsetzung der Schöpfung, den
Verstand bei der Urbarmachung der Erde und den Erkenntnissen der Wissenschaft einzusetzen.
Gehört dazu nicht, Gott sei Dank, der damit zusammenhängende Reichtum, den wir
genießen – natürlich unter der Bedingung, daß er mit allen Menschen, die alle
unsere Nächsten sind, geteilt wird? Das ist doch Nächstenliebe und Ursprung der
Entwicklungshilfe zu Hause und anderswo.
II – Champion der
selektiven Beobachter
Das erste Kennzeichen
des derzeitigen Pontifikats ist Kontinuität. Was vorige Päpste begonnen haben,
wird durch einen nachfolgenden Papst fortgesetzt. Johannes Paul II. klagte die
Auswüchse des Kapitalismus an. Franziskus setzt die Anklage fort. Benedikt
packte die Probleme bei der Vatikanischen Bank an, und Franziskus hat sie dann
gelöst.
Während in der Zeit
Johannes Pauls II. der Heilige Stuhl noch eine eher geschlossene Hofkultur pflegte,
hat Benedikt ihn Stück für Stück in ein eher präsidiales System umgeformt,
das durch seinen Rücktritt 2013 besiegelt worden ist. Gezwungen durch die
Mißbrauchsskandale hat Benedikt die vatikanische Verschlossenheit in eine vatikanische
Durchsichtigkeit umgeformt. Eingesehen wurde damals auch, daß die Teilnahme an
der weltweiten Kommunikation notwendig ist. Zudem ist damals die Notwendigkeit
erkannt worden, wie zur Zeit Pauls VI., die Kurie zu reformieren. Das alles
setzt Franziskus auf seine Weise fort.
Die säkulare Welt
abzuweisen ist schon lange nicht mehr der Weg, den die Kirche geht. Im
Gegenteil. Sie tritt der Welt mit Interesse gegenüber. So suchte Benedikt das
Gespräch mit Menschen der Wissenschaft wie dem Italiener Marcello Pera und dem
Deutschen Jürgen Habermas. Und so tritt jetzt Franziskus als der Kämpfer für
die Exzellenz der Armut auf – der anscheinend einzigen Speerspitze seines
Pontifikats.
Held
Papst Bergoglio hält
keine Reden über die Lehre der Kirche, doch kehrt diese wieder in Predigten und
Interviews. Auch dann scheint immer Kontinuität auf, doch darauf schaut die
säkulare Welt nicht. Als Held der Heiden und Champion der selektiven Zuhörer hat
er das von ihm selbst gemachte Bild zu erfüllen. Taugte dazu noch vor kurzem
die Kirche nicht, und Papst Ratzinger erst recht nicht, gegenwärtig taugt dazu,
der Kirche zum Trotz, Papst Bergoglio.
Dennoch spricht er
über den Teufel, wendet er sich gegen die Gendertheorie, plädiert er für die
Familie von Mann und Frau und Kindern, lehnt Abtreibung und Euthanasie ab. Dem
gegenüber steht, daß jede Aussage, die seine pastorale Haltung bezeugt, wohlwollend
aufgenommen wird. So galt die Flugzeugrede über gleichgeschlechtliche Liebe
nicht Menschen, die Homosexualität praktizieren, sondern zölibatär lebenden
Priestern mit dieser Neigung. Und die Flugzeugrede über Kaninchen bezog sich einfach
nur auf die Lehre der Kirche von der verantworten Elternschaft aufgrund ihres
eigenen Gewissens.
Es bleibt, daß
Benedikt XVI. vor allem der Lehrer war, der die Lehre erneut auslegte, und daß
Franziskus vor allem der Pastor ist, der vom täglichen Leben ausgehend spricht.
Der Ausgangspunkt des besonnenen Lehrers ist mithin ein anderer als der des
spontanen Pastors. Denn die Mutter Kirche handelt in der gesund zu nennenden
Spannung zwischen Lehre und Leben, Theorie und Praxis, Ideal und Wirklichkeit.
Das eigene, allerdings richtig entwickelte Gewissen hat dabei das letzte Wort.
Veranlagung und
Vorliebe
Der vorige Papst ist
eher Theoretiker, der jetzige eher Praktiker. Der erste hat eher den Charakter
Marias, der zweite den ihrer Schwester Martha. Sie verhalten sich zueinander
wie das kontemplative und das praktische Leben. Darin unterscheiden sich die
beiden Päpste – nach ihrer Veranlagung und ihrer Vorliebe.
Ein Franziskus von
Herzen gegönnter Umstand ist der Abschluß des Seligsprechungsverfahrens von
Erzbischof Oscar Romero von San Salvador, der 1980 bei der Zelebration der
Heiligen Messe ermordet wurde. Ohne Zweifel ein Geistesverwandter dieses
Papstes. Aber heißt das jetzt, daß die Befreiungstheologie, die vom Marxismus
ausgeht, in Rom angekommen ist? Keinesfalls!
Wohl hat Johannes Paul
II. schon die Solidarität mit den Armen zur ersten Entscheidung der Kirche erklärt,
auch aufgrund eines Buches des peruanischen Priesters Gustavo Gutiérrez, mit
dem der von Benedikt ernannte Präfekt der Glaubenskongregation, Gerhard Ludwig
Müller, 2004 „An der Seite der Armen. Theologie der Befreiung“ geschrieben hat.
Auch darin also Kontinuität.
III – Das Volk ist so
grob/unanständig wie sein Hirte
Das zweite Kennzeichen
des gegenwärtigen Pontifikats ist der Stilbruch und auch der Niedergang des
Stils. Umso mehr, weil Bergoglio so gut bei einem Volk rüberkommt, das die
eigene Lumpigkeit in der des Papstes wiedergespiegelt sieht.
Nicht, daß der Papst
die Messe nicht ehrfürchtig und sorgfältig zelebrieren würde. Davon können
viele Priester lernen. Aber Gefühl für Liturgie hat er nicht, ebensowenig für
Kunst und Musik. Auch Humor und Ironie scheinen zu fehlen. Weder Feiern noch
Feste sind seine Stärke. Alles, was nach Spektakel riecht, ist ihm fremd, wenn
nicht zuwider. Aber diese Dinge kann man jemandem noch nicht zum Vorwurf
machen. Der eine hat das eine, der andere hat das andere Talent.
Papst Franziskus ist
wie Papst Benedikt eine authentische Person. Er bleibt bei sich selbst. Die
Frage ist freilich, ob seine Echtheit nicht mit einem gewissen Maß an Anpassung
zusammengehen kann. Ist es nicht ein üblicher Brauch, daß Fürsten und Präsidenten
und andere hochstehende Personen sich bestimmten Regeln oder Protokollen
unterwerfen und sich nicht darüber erheben? Letzteres tun nur Diktatoren.
Willkür
Wenn Bergoglio sich in
dieser Hinsicht etwas fügsamer zeigte, würde er für Ruhe um sich sorgen und
damit für den Erfolg seiner Regentschaft. Impulsivität, Spontanität und
Improvisationssucht tragen nicht zur Transparenz der Weltkirche bei.
Dazu kommt
augenscheinlich eine gewisse Willkür von seiner Seite. Welches Kriterium liegt
der Ernennung der letzten Kardinäle zugrunde, die in der letzten Woche kreiert
worden sind? Daß er die Politik von Johannes Paul II. fortsetzt, solche
Ernennungen stärker über die Welt auszubreiten, liegt auf der Hand. Europa
säkularisiert sich rapide. Die meisten Katholiken wohnen in Südamerika. Aber
die vollzogene Wahl läßt Scharfsinn vermissen und hat etwas von einem Hexenmeister,
der hier und da ein Geschenk durch den Schornstein aufsteigen läßt – ohne
Beratung mit andern und höchstens bloß als Belohnung für ein dem Papst
wohlgefälliges Betragen.
Auf dem Petersplatz
geht Franziskus herum wie ein Großvater, der hier küßt und dort streichelt –
der ideale Opa. Innen, unter Mitarbeitern, verhält er ich wie ein harter
General, der eine Republik übernommen hat, die ihm nicht paßt.
Im Mund führt er die bischöfliche
Kollegialiät. Tatsächlich entscheidet er allein. Er legt Ortbischöfen Steine in
den Weg, die oft wegen seines vermeintlich andern Denkens gegen ihn ausgespielt
werden. Nach außen scheint er mit der Demokratie zu sympathisieren, nach innen
ist er ein Autokrat. Wer nicht seiner Meinung ist oder zu viel widerspricht,
den enthebt er seiner Funktion und schickt ihn weg. Er ist der Papst des kurzen
Prozesses und der großen Ungeduld.
Mitleid
Höhepunkte des
Pontifikat Bergoglios bis jetzt sind in meinen Augen seine Reise nach nach
Lampedusa 2013 und seine Reise in das Heilige Land 2014. In Bethlehem hat er
die Klagemauer der Palästinenser auf dem Weg zur Klagemauer der Juden geehrt –
beide Mauern. Auf Lampedusa hat er seine tiefste Berufung gezeigt: sein Mitleid
mit den Flüchtlingen, seine Nähe zu den Zertretenen, sein Trost für die
Ärmsten.
Tiefpunkt ist des
Papstes Schimpfrede zum Hochfest des Friedensfürsten – einige Tage vor dem
letzten Weihnachtsfest. Fünfzehn Krankheiten stellte der Heilige Vater bei der
Kurie fest, hielt aber die Schlußfolgerung nicht im Inneren des Hauses.
Offensichtlich galt die Botschaft nicht nur der römischen Kurie sondern auch
den örtlichen Kurien und darüber hinaus der ganzen Geistlichkeit – und allen
Gläubigen und allen Menschen. Warum wurde das nicht weniger unpassend bei
anderer Gelegenheit gesagt? Eine Donnerpredigt hat er gehalten, über die viele
zu Unrecht Schadenfreue empfanden – im Kern eine Schimpferei, die bei den
eigenen Mitarbeitern die Herzen verschließt und Resignation hervorruft in
Erwartung des nächsten Papstes.
Wie verantworte ich
das hier von mir Dargelegte? Es ist die Klarheit, von der die Welt sagt, daß
sie danach schmachtet. Außerdem die Behutsamkeit zu vermeiden, daß der Kirche
noch einmal widerfährt, was durch den Tod von Johannes XXIII. geschehen ist:
die Geiselnahme eines verstorbenen Papstes durch Menschen, die dann genau
wissen, was so jemand, meist nach ihrer eigenen Deutung, wirklich
beabsichtigte.
Die unbedachten Jubler
sollten ihre Erwartungen an Franziskus mäßigen! Das beugt Enttäuschungen vor.
Antoine Bodar (1944) ist u. a. Philosoph, Priester
und Kunsthistoriker. Er wohnt gelegentlich in Amsterdam und meistens in Rom, im
päpstlichen Priesterkolleg „Santa Maria dell’Anima“
ÜBERSETZT UND
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