Freitag, 29. November 2024

Eine immer wieder vergessene Minderheit:
Christen im Heiligen Land

Was allgemein bekannt ist: Vor gut einem Jahr ein grauenhaftes Verbrechen einer islamistischen Terrorarmee an unschuldigen jüdischen Zivilisten. Darauf eine grauenhafte Reaktion des israelischen Staates, die vor allem die unschuldige palästinensische Zivilbevölkerung trifft. Zugleich eine weltweite Welle eines oft gewalttätigen Antisemitismus, dessen Opfer absurderweise Angehörige eben des Volkes sind, dem schon die ersten Opfer dieses Aktes der Konflikte im Heiligen Land angehören.
Es gibt zahlreiche Gruppen und Organisationen, in denen sich jüdische Israelis und Palästinenser gemeinsam um Frieden und Versöhnung im Heiligen Land bemühen, leider mit wenig Erfolg und auch wenig öffentlicher Resonanz. Und dennoch werden allüberall Juden für das Handeln der israelischen Regierung, Palästinenser für die Untaten der islamistischen Terrorarmeen verantwortlich gemacht.
Was kaum bekannt ist, ist das, was die besondere Aufmerksamkeit von Christen verdient: was geschieht mit den Christen im Heiligen Land?
Bemerkenswerterweise ist es dieselbe tageszeitung, die gelegentlich wüst antichristliche Artikel in die Welt setzt, von denen wir jüngst einen besprochen haben, die oft aber auch die Not der Christen im Nahen Osten aufzeigt.
Schon vor etwa zwei Jahren wurde berichtet (Lisa Schneider: Christen im Westjordanland / Reise nach Bethlehem), daß Christen aus dem Westjordanland, etwa um Weihnachten in Bethlehem zu feiern, große Umwege fahren müssen (über viel schlechtere Straßen, Schnellstraßen sind für sie gesperrt), weil ihnen der kurze Weg durch Jerusalem nicht gestattet ist. Um nach Jerusalem zu fahren, «dort Freunde, Verwandte oder die Grabeskirche zu besuchen», brauchen Palästinenser, also auch christliche Palästinenser, «eine Genehmigung», die sie «bei der israelischen Ziviladministration für das Westjordanland beantragen» müssen. «Während Israel zum Ende des Ramadan normalerweise die Einreiseregeln lockert und Frauen, Kinder und einige Männer aus dem Westjordanland so auch ohne Genehmigung die Al-Aksa-Moschee in Jerusalem besuchen dürfen, gibt es für Christen keine solchen Lockerungen» zu Ostern etwa.
Im Gaza-Streifen lebten damals noch etwa 1.000 Christen. Auch sie brauchten eine Genehmigung des Staates Israel, um ins Westjordanland reisen zu dürfen. Zu Weihnachten 2022 wurden von etwa 800 Anträgen aus Gaza rund 200 nicht bewilligt.
Was im Westjordanland schon lange, jetzt aber verschärft geschieht, ist Thema eines anderen Artikels (Mirco Keilberth: Siedlungsbau im Westjordanland / Zwischen den Fronten).
Christliche Palästinenser werden aus ihren Häusern, von ihren Grundstücken vertrieben, nicht aufgrund irgendwelcher Beschuldigungen, sondern einfach, um ihr Land für zionistische Siedler in Beschlag zu nehmen. Als ein Beispiel dient ein zuvor gutlaufendes Restaurant mit ausgedehntem Obst- und Olivengarten: «Frühmorgens», am 31. Juli 2024, «tauchte eine Gruppe junger Siedler auf, wortlos tauschten sie das Eingangstor des Grundstücks mitsamt Schloss aus und besetzten das Gelände. Soldaten begleiteten die Eindringlinge, ebenso der Bürgermeister der benachbarten jüdischen Siedlung Gusch Etzion. Anfang Oktober kamen sie mit Bulldozern wieder und rissen das Haus nieder.» «Eine Anordnung der israelischen Armee verbietet der Palästinenserin [der Tochter der betroffenen Familie, Alice Kisiya] auf unbestimmte Zeit, das Al-Makhrour-Tal [wo Restaurant und Grundstück lagen] zu betreten» – obwohl die Frau israelische Staatsbürgerin ist. «Weil sie aggressiv gegenüber der Armee und den Siedlern aufgetreten sein soll, verbrachte Alice Kisiya eine Nacht im Gefängnis.»
«Die Siedler nutzen den Umstand aus, dass die Besitzverhältnisse in Palästina bis 1967 meist mit Handschlag geregelt wurden.» Doch in diesem Fall ist es anders:
Die Besetzer «begründen ihre Übernahme mit einem vermeintlichen Richterspruch. „Sie sagen, sie hätten ein Gerichtsurteil, das ihnen nach über 55 Jahren ihren Besitz wieder gebe. ... Sie behaupten, meine Familie hätte das damals von der JNF gekaufte Grundstück besetzt, aber konnten weder uns noch unserem Rechtsanwalt irgendwelche Beweise dafür vorlegen. Wir hingegen haben unsere Besitzdokumente offengelegt.“» «Mit ihrem Versuch, ihr Recht endgültig geltend zu machen, scheiterten sie 2023, als ein Jerusalemer Zivilgericht die Enteignung bestätigte. „Wir setzen dennoch auf die Gerichte“, sagt Alica Kisiya, „und auf friedlichen Widerstand.“»
«Als Palästinenserin mit israelischem Pass habe sie sich bisher irgendwie geschützt gefühlt, sagt Alice Kisiya. „Aber nun zeigt sich, wie machtlos die Gesetze gegenüber den Plänen der Nationalisten sind.“»
Eine andere christliche Familie in einer anderen Region gehört zu den «der wenigen Familien im Westjordanland, die Besitzdokumente im Original aus osmanischer und britischer Kolonialzeit vorweisen können.
Dennoch müssen sich die Nassars vor israelischen Militärgerichten gegen ihre Enteignung wehren, seit 30 Jahren» – vor Militärgerichten, sie sind keine israelischen Staatsbürger. «Die israelische Behörde COGAT, die für „Palästinenserangelegenheiten“ zuständig ist, hat das Gebiet rund um Nahalin verstaatlicht. ...
Immer wieder tauchen Siedler aus der direkt unterhalb [des Hofes der Familie] gebauten Tora-Schule auf und beschimpfen das Ehepaar und ihre drei Kinder. „Manchmal schaue ich nachts in die Gewehrläufe einer Armeepatrouille, die sich auf unser Privatgrundstück verirrt hat“, sagt die 50-jährige Amal Nassar, Daouds Frau und Mitstreiterin. Über 50 Gerichtstermine hat die Familie bereits hinter sich. Die nächste Entscheidung darüber, ob das Grundstück wieder auf ihren Namen registriert werden kann oder ob sie gehen müssen, findet am 18. Dezember vor einem Militärgericht statt.»
Alice Kisiya meint, daß christliche Palästinenser unter besonderem Druck der Siedler stehen: «Sie stünden dem Narrativ israelischer Radikaler im Weg, nach der alle Palästinenser islamistischen Ideologien folgen würden.»
Viele Nachbarn sind dem Druck der Siedler gewichen: «In den letzten Monaten tauchten immer wieder Bewaffnete oder Patrouillen der israelischen Armee auf ihren Grundstücken auf, berichten sie. ... Die Siedler haben automatische M16-Schnellfeuergewehre geschultert.»
«Nach den großen Auswanderungswellen in der Folge der beiden Intifadas packen nun zum dritten Mal viele christliche Palästinenser [und Palästinenser]innen ihre Sachen und verlassen ihre Heimat. Ihr Bevölkerungsanteil im Westjordanland ist von 10 Prozent im Jahr 1967 auf ein Prozent gesunken.»
Die Haltung der verbliebenen Christen stellt Amal Nassar so dar: «„So profan es klingt: Wir halten dem Druck nur deswegen stand, weil wir uns weigern, Feinde zu sein“, sagt die gläubige Christin und zeigt auf das Kreuz, das über der Veranda ihres Steinhauses hängt. „Wir weigern uns, den Hass zu empfinden, der uns von den Siedlern entgegenschlägt. Als unsere Olivenbäume von einem Bulldozer zerstört wurden, haben wir eben neue gepflanzt.“»
Aber es gibt auch eine andere Seite: Auch Israelis, unter ihnen „Rabbiner für Menschenrechte“ aus Israel, sind ins Al-Makhrour-Tal gereist, «um sich für die Rückkehr der Kisiyas auf ihr Land einzusetzen.»
Schon vor anderthalb Jahren berichtete katholisch.de (Druck auf Christen im Heiligen Land nehme zu / Abt Nikodemus Schnabel: Werde als Christ in Israel täglich bespuckt) von häufiger Gewalt im Heiligen Land und namentlich in Jerusalem gegen Christen; das geht bis zu einem «verheerenden Brandanschlag» gegen ein Kloster in Tabgha.
Eine Kolumne (Charlotte Wiedemann: Siedler in Jerusalem: Hass auf alles Nichtjüdische) berichtet von der Situation der Christen in Jerusalem. Die Autorin spricht zunächst von einem Besuch am Grab der griechisch-orthodoxen Al-Jazeera-Reporterin Shirin Abu Akleh, «erschossen vom israelischen Militär», geht dann über zum nahegelegenen armenischen Viertel. Schon «bei Israels Staatsgründung 1948 wurden auch viele Armenier vertrieben.»
Vor den Kriegen seit der Mitte des XX. Jahrhunderts wurde Jerusalem (die heutige Altstadt) in vier Viertel unterteilt: das jüdische, das islamische, das christliche und ein zweites christliches, nämlich das armenische Viertel.
«Wie andere christliche Gemeinden zuvor kämpfen die Armenier gegen aggressive Siedlergangs, die Geschäftsleute bedrohen und Priester bespucken.»
«Die Siedler, sagt [ein Armenier], wollen hingegen die Altstadt judaisieren. Und die aggressiven Jungen, die sogenannte Hügeljugend, seien dazu erzogen worden, vor niemandem Respekt zu haben.»
«„Möge es niederbrennen“ wurde dieser Tage auch beim Überfall auf die Armenian Tavern gerufen, ein alteingesessenes Restaurant in der Nähe des armenischen Konvents, wenige Meter vor einer Polizeistation. Mit Hoodies über Schläfenlocken versprühten sie Pfefferspray und zerschlugen Mobiliar. Sie kamen zweimal in einer Woche.»
Und auch hier gilt wieder: «Die armenischen Aktivisten bekommen Unterstützung aus der jüdischen wie der palästinensischen Zivilgesellschaft.»
Und an all dem kommt den gern geschmähten „Ultraorthodoxen„ keine Schuld zu.
Und von der Hamas und ähnlichen Parteien und Terrorarmeen haben die Christen am allerwenigsten Gutes zu erwarten.

Samstag, 16. November 2024

Wenn Antisemitisches nicht antisemitisch klingen soll

Antisemitismus ist hier zu Lande verpönt. Nur ganz rechts im politischen Spektrum wird er noch offen ausgesprochen. Allerdings suchen sich manche in diesem Teil des Spektrums auch mit nationalistischen Juden zu verbünden, um auf diese Weise sich gegen Araber wenden zu können. Auf der linken Seite wird Antisemitismus seit jeher strikt abgelehnt – „Nie wieder Auschwitz“ –, was freilich linke Terroristen nicht daran hinderte, schon 1976 eine Selektion durchzuführen, die Juden verständlicherweise an die Selektionen von Auschwitz erinnerte. Nach einer Flugzeugentführung fand unter den Passagieren die „Selektion von Entebbe“ statt: die jüdischen Passagiere wurden ausgesondert, um sie gegen palästinensische Terroristen auszutauschen oder aber sie umzubringen.
Aber im Großteil unserer Gesellschaft, von rechts bis links, gilt doch Antisemitismus nicht als statthaft.
Was also tun, wenn man dennoch gegen Juden polemisieren will?
Die beliebte Lösung: statt „Juden“ sagt man: „Ultraorthodoxe“.
Den Ultraorthodoxen darf man ungestraft alles Schändliche zuschreiben, was man über Juden sagen möchte. Insbesondere darf man sie für all das Üble verantwortlich machen, was die israelische Regierung an militant nationalistischer Politik betreibt.
Die Wirklichkeit ist ganz anders.
Charedim oder „Ultraorthodoxe“ sind einfach Juden, die ihren Glauben ganz ernstnehmen. Die, die ihn für nationalistische Zwecke instrumentalisieren, nennt man „Nationalreligiöse“.
Ein Buch von Tuvia Tenenbom, „Gott spricht Jiddisch / Mein Jahr unter Ultraorthodoxen“ (Berlin 2023) gibt einen ausgezeichneten Einblick in das Leben der aschkenasischen Charedim in Israel.
Der Autor schreibt in einem entsetzlichen amerikanischen Stil, der auch durch die Übersetzung ins Deutsche nicht abgemildert wurde. Doch mit seiner Kenntnis der aschkenasisch-charedischen Kultur, seiner Fähigkeit, mit diesen Menschen ins Gespräch zu kommen, seiner Sympathie für sie und zugleich seiner Distanz zu ihren Lehren (an denen er sich manchmal kurios verbeißt) ist er ein ausgezeichneter Zeuge für das Leben in ihrer Welt.
Zionistischer Nationalismus ist ihnen völlig fremd. Im Gegenteil: unter ihnen ist ein manchmal geradezu makabrer Antizionismus zu finden. Ein (extremer) charedischer Rebbe, dessen Visitenkarte die palästinensische Flagge zeigt, erklärt: „Zionisten sind keine Juden“ (S. 122 f.). Nach dem jüdischen Gesetz, wie Charedim es verstehen, ist es gestattet, den Sabbat zu entweihen, um einem Juden das Leben zu retten. Einen anderen charedischen Rebbe fragt der Autor, ob Benjamin Netanjahu „am Sabbat gerettet werden“ sollte, „wenn man ihn nur retten kann, indem man den Sabbat nicht einhält?“ – „Ich denke nein. Es wäre nicht erlaubt, den Sabbat zu entweihen, um ihn zu retten.“ (S. 141)

Montag, 4. November 2024

Dringliche Wünsche aus dem Kirchenschiff an die Liturgen

Menschen tragen Fürbitten vor. Wenn in diesen Fürbitten der Herr angeredet wird, so hat, wer die Fürbitte vorträgt, sich zum Herrn zu wenden, zum Altar also oder zum Tabernakel. Sich zur Gemeinde zu wenden, dabei den Altar links (oder rechts) liegen zu lassen, stellt einen Widerspruch in sich dar: man formuliert eine Anrede an den Herrn und zeigt zugleich körperlich, daß nicht Er gemeint ist.
Aber auch wenn, wie es vorkommt, in den Fürbitten die Gemeinde angesprochen wird («Laßt uns beten für ...»), kann der, der Fürbitten vorträgt, nicht dem Herrn, folglich auch nicht dem Altar und Tabernakel, den Rücken zukehren. Alle Liturgie ist dem Herrn zugewandt; vorm Altar dem Volk zugewandt stehen kann nur der Priester, wenn er im Namen des Herrn handelt, den Segen oder gar ein Sakrament spendet oder zumindest einen liturgischen Gruß ausspricht, der ja auch einen Segen in nuce darstellt.
Dem Altar zugewandt sein müssen auch die Sänger: aller liturgische Gesang richtet sich ja an den Herrn. Gute Überlieferung ist es, in der lateinischen Kirche ebenso wie in der byzantinischen, daß sie (wenn sie nicht hinten auf der Empore stehen) seitlich im Chor stehen, also zur einen Seite vor sich den Altar oder das Tabernakel haben, zur anderen die Gemeinde, die so mit eingebezogen wird, denn aller Kirchengesang ist Gesang der ganzen Gemeinde: Schola oder Chor singen laut hörbar, die übrigen singen geistig mit.
«Man kann nicht nicht kommunizieren» ist ein wichtiger Grundsatz der Kommunikationspsychologie. Was immer am Altar und im Chorraum geschieht, es sagt etwas aus. Und was der Priester durch seine Bewegungen und Gesten sagt, ist wesentlich gewichtiger als das, was er in der Predigt sagt.