Donnerstag, 24. Februar 2011

Schon wieder muß unterschrieben werden

Der Site «Motu proprio: Summorum Pontificum» sieht Gefahr im Verzug für den Vollzug des gleichnamigen Motu proprio. Wie groß diese Gefahr auch immer sein mag: sicher ist es angemessen, die guten Absichten des Papstes gegen dunkle Machenschaften im Vatikan zu unterstützen und also, so miserabel die Unterschriftensammlung technisch auch geraten ist, zu unterschreiben.

Montag, 21. Februar 2011

Die Unterzeichner des Memorandums

Nein, ganz unberührt läßt mich die Liste der Unterzeichner nicht. Daß Herr Küng alle Vorurteile gegen ihn immer wieder bestätigt, ist nichts Neues; und daß Herr Pesch dabei ist, der schon in der Zeit, als es noch weder Indult-Messen noch Ecclesia-Dei-Gemeinschaften, geschweige denn das Motu proprio «Summorum pontificum» gab, gegen den nun extraordinär genannten Ordo agitierte, ist ebensowenig bemerkenswert. Aber P. Hengsbach darunter zu finden, der doch ein bedeutender Vertreter der katholischen Soziallehre ist, schmerzt. So drohen die Soziallehre einerseits, die Glaubenslehre und die Liturgie andererseits zu Themata verschiedener Parteien innerhalb der Kirche zu werden, derart, daß die Vertreter der ersteren die letztere bekämpfen, die der letzteren dann in Gefahr sind, die Soziallehre zu vernachlässigen.

In diesen Tagen – die Zeit ist günstig – hat auch der Chronist wieder einmal «Erfahrungen und Ausdrucksformen der Gegenwart, die in der Liturgie einen Platz haben» und so dem entsprechen mögen, was die Verfasser des Memorandums sich wünschen, entdeckt.

Mittwoch, 16. Februar 2011

Papst Pius XII. – das Nachspiel

Am 9. Oktober 1958 starb Papst Pius XII. Unter seinem Pontifikat hat das Ansehen des Papsttums in der Welt einen Höhepunkt erreicht; Pinchas Lapide zitiert Danksagungen jüdischer Persönlichkeiten am Ende des Krieges und nach dem Tod des Papstes in großer Menge.
Zu seinem Nachfolger wurde am 28. Oktober Kardinal Roncalli gewählt: Johannes XXIII.
Msgr. Angelo Giuseppe Roncalli war der Diplomat, der sich wohl am erfolgreichsten im Dienst des Papstes für die verfolgten Juden eingesetzt hatte. Und seine menschliche und geistliche Qualität ist unbestritten – eine wirklich heiligmäßige Persönlichkeit.
Aber er erlangte bald ein Ansehen, das das seines Vorgängers in einer breiten Öffentlichkeit noch in den Schatten stellte. Und es stellt sich da die Frage: wieviel hatte dieses Ansehen mit der Person des neuen Papstes zu tun, wieviel davon hat andere Gründe?
Papst Johannes XXIII. war eine Sphinx. Er war der Papst, der das «Aggiornamento» ausrief und diesem mit dem II. Vaticanum den Weg bereitete, aber auch der, unter dessen Pontifikat Arbeiterpriester definitiv verboten wurden, auch der, der im selben Jahr, in dem er dieses Konzil eröffnete, mit seiner Apostolischen Konstitution «Veterum sapientia» Unterricht auf Latein in den Seminarien anordnete.
Zwei Taschenbücher mit Texten von Johannes XXIII. habe ich: das «Geistliche Tagebuch» (Freiburg 1964) und eine Anekdotensammlung: Henri Fesquet: «Ich bin ja nur der Papst» (Frankfurt 1965; Freiburg 1975). Die Persönlichkeit, die sich im geistlichen Tagebuch zeigt – ein frommer, demütiger, scheinbar etwas trockener Priester –, hat keine Ähnlichkeit mit dem launigen, recht scharfzüngigen Urheber der Anekdoten (so bezeichnete er Kardinal Montini einmal als «Unseren Hamlet»). Auch wenn man davon ausgeht, daß das Tagebuch sicher authentisch ist, Anekdoten dagegen oft zweifelhaft sind, so bleibt die Frage: wie kann einem der Kirche so treuen Mann der Ausspruch unterschoben werden: «Es gilt, den kaiserlichen Staub, der sich seit Konstantin auf den Thron des heiligen Petrus gesetzt hat, abzuschütteln» («An einen Botschafter» wird nur als Quelle zitiert).
Offensichtlich wurde die wirkliche Herzlichkeit und Unkonventionalität Johannes’ XXIII. von einem gewissen Geist der Zeit instrumentalisiert, ihn gegen seinen Vorgänger und letztlich gegen die Kirche in Stellung zu bringen – worum er nicht gebeten hatte und was seiner Haltung durchaus nicht entsprochen haben dürfte.
Aber es war nicht nur der anonyme Zeitgeist; auch ganz konkrete Personen mischten mit. In der Einleitung der Anekdoten schrieb der Herausgeber, Georg Huber zitierend: «wenn Papst Pius XI. Ehrfurcht, Papst Pius XII. Bewunderung einflößten, so weckte Johannes XXIII. Zuneigung; ja mehr noch – Liebe.» Und: «Er war der einzige Papst dieses Zeitalters, von dem auch ein kommunistischer Arbeiter sagen konnte: „Das ist ein Mann, mit dem ich gerne ein Glas an der Theke trinken möchte.“»
Natürlich ist das so falsch. Hier wird ein imaginärer kommunistischer Arbeiter ins Spiel gebracht – welche Liebe ein wirklicher kommunistischer Arbeiter zu Papst Pius XII. zeigte (der, als einmal in Rom Bomben fielen, sogleich zur Stelle war, um zu helfen), schildert Konstantin Prinz von Bayern sehr konkret (Der Papst. Ein Lebensbild. München 1952). Aber an diesem imaginären kommunistischen Arbeiter zeigt sich, daß das Ansehen, das hier der Person Johannes’ XXIII. künstlich zugespielt wurde, letztlich parasitär ist: ein kommunistischer Arbeiter kann Leute genug finden, mit denen er „ein Glas an der Theke trinken“ kann. Bedeutung gewinnt der Papst „an der Theke“ dadurch, daß man sich einen Papst dort nicht vorstellen kann. Ist der Papst „an der Theke“ erst einmal normal geworden, so interessiert man sich nicht mehr für ihn.
Natürlich trank Papst Johannes XXIII. nicht einfach mit irgendwem „ein Glas an der Theke“. Aber es gelang, den Papst als Menschen mit recht alltäglichem Gebaren zu popularisieren (womit man seiner Persönlichkeit natürlich in keiner Weise gerecht wurde); und natürlich hatte sich dieser Effekt, nachdem der Kontrast zum Auftreten seiner Vorgänger abgegrast war, schnell verzehrt – unter Paul VI., der als Kardinal mit einem Bergmannshelm posiert hatte, stürzte das Ansehen des Papsttums auf seinen Tiefpunkt.
Es gab also einen Zeitgeist, es gab eine Machination gewisser Kreise, die sich gegen die transzendentale Ausstrahlung des Papsttums wendeten, die noch Pius XII. (auch wenn er das päpstliche Zeremoniell vereinfacht hatte) ungebrochen verkörperte.
Aber das allein erklärt schwerlich die Verleumdungswelle, deren erste Spuren schon zu seinen Lebzeiten sich zeigten, die danach so hoch aufschäumte, in Deutschland, in den USA, selbst in Israel, dessen Politiker beim Tod des Papstes sich doch noch voller Dankbarkeit zeigten.
«Die beiden großen Übel, die heute die Welt vergiften, sind der Laizismus und der Nationalismus.» Dieser Satz stammt nicht von Papst Pius, sondern aus Msgr. Roncallis Geistlichem Tagebuch (Oktober 1942). Es war eine Kränkung der laizistischen Welt, daß es vor allem Kirchenfürsten waren, die in der Zeit des NS-Regimes besonders viel für die Menschenrechte geleistet hatten. Es war eine Kränkung für sie, daß im Einsatz für Menschenleben sich die Kirche so viel besser bewährte als die westlichen Staaten.
Zum Vergleich:
Im Juli 1938 tagte, veranlaßt vom US-amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt, die Konferenz von Évian: Vertreter von 32 Staaten suchten nach Zufluchtsorten für deutsche und österreichische Juden, doch niemand war wirklich bereit, sie in ausreichender Zahl aufzunehmen – Joseph Goebbels hatte Gelegenheit zum Spott über Juden, die niemand wolle.
Bestätigt wurde er nicht einmal ein Jahr später, als im Mai 1939 die St. Louis mit mehr als 900 jüdischen Flüchtlingen Deutschland verließ und diese (mit Ausnahme einiger weniger) nirgendwo die Erlaubnis erhielten, an Land zu gehen, nicht in Kuba, dem ursprünglich vereinbarten Ziel, nicht in Kanada noch in den USA – Präsident Roosevelt wollte sie zwar geben, doch seine Partei stellte sich quer. Die Irrfahrt endete wieder in Europa; nach der Besetzung der Niederlande, Belgiens und Frankreichs durch Deutschland 1939 und 1940 fiel etwa die Hälfte dieser Flüchtlinge dem NS-Regime zum Opfer.
Schließlich stand für Juden aus dem Machtbereich des NS-Regimes praktisch nur das japanisch besetzte Schanghai offen, dessen Einreisebedingungen sich aber seit 1939 ebenfalls verschärften, bis Ende 1941 auch dieser Zufluchtsort unzugänglich wurde.
Errechnet man das Verhältnis der aufgenommenen jüdischen Flüchtlinge zur Bevölkerung des Staates (oder Gebiets), so erhält man
für die USA 0,13%,
für Portugal 0,13%,
für Groß-Britannien 0,21%,
für Schanghai 0,5 %,
für die Schweiz 0,6 %,
für den Vatikan 320 %.
Allerdings ist die Zahl für den Vatikan viel zu niedrig, denn vom Vatikan wurden die Flüchtlinge, wenn möglich, weitergeschleust an Zufluchtsorte in sicherer Entfernung vom NS-Machtbereich, so daß nur schwer abzuschätzen ist, wieviel jüdische Flüchtlinge zugleich da waren; mit Sicherheit waren es deutlich mehr als 3000, welche Zahl den 320% zugrunde liegt. Die Zahl der Juden, die überhaupt in der Zeit der deutschen Besatzung Roms in vatikanischen Gebäuden Zuflucht gefunden hatten, betrug gut 530% der Einwohnerzahl.

Darum die Angriffe gegen die Kirchenfürsten, die sich am meisten ausgezeichnet hatten, besonders gegen Papst Pius XII. Stete Wiederholung der immer gleichen unwahren Anwürfe gegen ihn führte dazu, daß die Verleumdungen in der Öffentlichkeit glaubwürdiger zu erscheinen begannen als die Wahrheit. Uns Katholiken wird nichts anderes übrigbleiben, als auch die Wahrheit ständig zu wiederholen.

Wen eigentlich kann ich noch wählen?

Kleptokraten? Oder militante Laïzisten?

Dienstag, 15. Februar 2011

Entwarnung?

Ich habe die Liste der Unterzeichner des berüchtigten Memorandums durchforstet und kann nun bezeugen:
Niemand hat unterschrieben!

Quo usque tandem

abutemini «theologiae» professores et profestrices patientia nostra?
Aber da das nun einmal so ist, so stöhnen wir mit Phileireno:
Subscribere necesse est.

Samstag, 12. Februar 2011

Die Päpste Pius XI. und Pius XII.

Die Personen

Don Achille Ratti
war ein bedeutender Wissenschaftler, seine Wirkungsstätte war die Bibliotheca Ambrosiana und später die Bibliotheca Vaticana. Ein eher ruhiges Gelehrtendasein – doch hatte er auch eine andere Seite: er war ein sehr fähiger Alpinist, unternahm bis zum Alter von 56 Jahren viele anspruchsvolle Bergtouren. Das erforderte Umsicht und Urteilsvermögen – ähnlich wie seine wissenschaftliche Arbeit –, zudem Mut und Entscheidungskraft und besonders auch Solidarität.
Dann kam der Erste Weltkrieg. An dessen Ende überschlugen sich die Ereignisse: er wurde 1918 Apostolischer Visitator, 1919 Nuntius, 1921 Erzbischof von Mailand und Kardinal, 1922 Papst.
Pius XI. war der Papst, der Quadragesimo anno (1931) von Rerum novarum mit seiner Enzyklika die katholische Soziallehre weiterführte, mit einer Enzyklika, die weitgehend von Oswald von Nell-Breuning verfaßt war, der sich nicht scheute, auch von Marx zu lernen; doch wurden der Marxismus abgelehnt – und ebenso der Kapitalismus, der Glaube an die Konkurrenz als Allheilmittel. Er begründete die Katholische Aktion, die intensive Teilnahme der Laien am Apostolat der Kirche, forcierte die Mission, gab Kirchen von Missionsländern einheimische Bischöfe.

Don Eugenio Pacelli
hatte sein priesterliches Leben fast ganz im diplomatischen Dienst der Kirche verbracht. 1917 kam er nach Deutschland, wurde Nuntius in München, dann in Berlin. Er lernte in zwölf Jahren Deutschland sehr genau kennen, lernte perfekt Deutsch. 1929 kehrte er zurück nach Rom, wurde Kardinal, ein Jahr später Kardinal-Staatssekretär.
Neben dem temperamentvollen robusten Lombarden Ratti verkörperte der grazile Römer Pacelli das diplomatische Prinzip. Pius XI. war ein sehr energischer, sehr impulsiver Mann – aber er hatte sich auch als Wissenschaftler ausgezeichnet, hatte viele gefährliche Bergtouren zu überleben gewußt. Msgr. Pacelli war Diplomat, ein sehr umsichtiger, bedachtsam handelnder Mann – aber er handelte so entschieden, daß die NS-Propagandisten ihn als Scharfmacher gegen ihre Ideologie identifiziert haben. Als Nuntius zeigte er körperlichen Mut, als er auch während der Revolutionswirren 1918-19 in der Stadt blieb und sich so den Wirren der Revolution aussetzte, in deren Lauf ein bewaffneter Stoßtrupp bis zu ihm in die Nuntiatur vordrang.
Papst Pius XI. und sein Staatssekretär ergänzten einander, wirkten gegenüber den totalitären Mächten der Zeit ähnlich eng zusammen, wie einst Papst Pius VII. und Kardinal Consalvi, Papst Leo XIII. und Kardinal Rampolla zusammengewirkt hatten.

Die totalitären Regime

Als 1922 Pius XI. Papst wurde, regierten in Rußland bereits die Sowjets, wurde dort die Kirche schon grausam verfolgt, unter Lenin nicht minder als unter Stalin. 1922 begann der Aufstieg Stalins, gelangte Mussolini an die Macht. Der Papst bemühte sich, die Probleme der Kirche durch Konkordate zu lösen, bemühte sich auch um eines mit der Sowjet-Union, erklärte, er würde sogar mit dem Teufel persönlich einen Pakt schließen, wenn es um das Heil der Seelen ginge.
Um dem totalen Machtanspruch dieser Regime gegenüber die Geltung übergeordneter, gottgegebener naturrechtlicher Normen einzufordern, führte der Papst am Ende des Heiligen Jahres 1925 das Fest Christ König am letzten Sonntag im Oktober ein. 1926 verurteilte er die Weltanschauung der ultranationalistischen Action française, die zwar kirchenfreundlich war, zugleich jedoch letztlich irreligiös, antisemitisch war und «Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit» ablehnte, Werte, die sich zwar die laïzistische Republik auf die Fahne geschrieben hatte, die jedoch – so Papst Leo XIII. – ursprünglich christlich sind. 1927 wurden die verbliebenen Mitglieder exkommuniziert.
Schon im März 1928, als die NSDAP noch eine bedeutungslos erscheinende Splitterpartei war, ließ er durch ein Dekret des Heiligen Offizium den Antisemitismus ausdrücklich verurteilen. Als er im September 1938 vor einer Pilgergruppe diese Verurteilung wiederholte, sagte er dabei auch den Satz: «Wir sind im geistlichen Sinne Semiten.»
1929 gelang ihm der Abschluß der Lateranverträge mit dem faschistisch regierten Italien, welche die Souveränität des Vatikanstaates begründeten – wieder einmal hat es sich in unserer Zeit gezeigt, wie notwendig der Schutz der Kirche durch diese politische Souveränität ist, als das US-amerikanische Höchste Gericht dem Papst abwegiger Beschuldigung wegen die Immunität aberkannt hat.
Doch den Faschismus verdammte er 1931 mit der Enzyklika «Non Abbiamo Bisogno» – der ersten Enzyklika, die nicht auf Latein verfaßt war.

In Deutschland war seit 1932 die NSDAP die stärkste Partei. Die deutschen Bischöfe hatten schon im August 1932 in den «Richtlinien» der Fuldaer Bischofskonferenz festgestellt, daß ihre sämtlichen Ordinariate die Zugehörigkeit zur NSDAP für unerlaubt erklärt hatten. Die Folgen waren deutlich: wo immer im Deutschen Reich überwiegend Katholiken wohnten, erhielten die Nationalsozialisten deutlich weniger Stimmen (an Ausnahmen gefunden habe ich die Kreise Sonthofen, Markt Oberdorf und Habelschwerdt mit einer mittleren Zahl von Wählern der NSDAP; an umgekehrten Ausnahmen – wenig Wählerstimmen für die Nationalsozialisten, wo nur wenig Katholiken lebten, gab es etwas mehr, wie Weimar und Leipzig, doch waren es nicht viele).
Politisch jedoch scheiterte die katholische Abwehr; 1933 konnte die NSDAP mit ihren bald darauf an den Rand gedrängten Verbündeten «die Macht ergreifen». Nun mußte gerettet werden, was zu retten war. Unter diesen Umständen war es klar, daß diese Art von Abwehr aufgegeben werden mußte; doch in der Sache wichen die Bischöfe nicht zurück. Die Verbote wurden mit einem Hirtenbrief der deutschen Bischöfe vom 29. März aufgehoben; doch im selben Hirtenbrief wurde ausdrücklich gesagt, daß die diesen Verboten zugrunde liegende «Verurteilung bestimmter religiös-sittlicher Irrtümer» davon unberührt bestehen blieb.
Nun aber bot Hitler den Abschluß des schon 1921 ausgehandelten, von den vorhergehenden Regierungen der Weimarer Republik verschlampten Reichskonkordats an, das die Lage der Kirche wenn auch nicht real, so doch juristisch absicherte. Gern wird Papst Pius XI., vor allem aber dem damaligen Kardinal-Staatssekretär Pacelli zum Vorwurf gemacht, er habe Hitler durch den ersten internationalen Vertrag, den dessen Reichsregierung abschließen konnte, ebendieses Reichskonkordat, diplomatisch hoffähig gemacht. Wirklichkeit ist: die Verhandlungen darüber begannen im April 1933 – die für den Viermächtepakt, mit dem Deutschland, Italien, Frankreich und Großbritannien Zusammenarbeit und Solidarität vereinbarten, hatten im März begonnen. Am 8. Juli wurde das Konkordat paraphiert – der Viermächtepakt bereits am 7. Juni; am 20. Juli wurde es unterzeichnet – der Viermächtepakt bereits am 15. Juli. Ratifiziert wurde der Viermächtepakt nicht mehr, doch diplomatisch war er für die NS-Regierung bereits ein voller Erfolg: sein Abschluß hatte klargestellt, daß sie diplomatisch auf keinerlei Ablehnung stieß. Welche Staaten waren auf dem diplomatischen Parkett gewichtiger: England, Frankreich und Italien einerseits oder der Vatikan andererseits?
Das Konkordat half der Kirche freilich nur wenig, es folgte ein ständiger Kampf: des Regimes gegen die Kirche – ohne Rücksicht aufs Konkordat –; der Kirche gegen die rassistische und kollektivistische Ideologie.
1937 verdammte der Papst mit der wiederum in Volkssprache verfaßten Enzyklika «Mit brennender Sorge» den Nationalsozialismus, seinen Rassismus und seinen Totalitarismus. Es gelang, unter völliger Geheimhaltung die Enzyklika binnen einer Woche zu verteilen, so daß sie am Palmsonntag in allen Kirchen in allen Gottesdiensten verlesen werden konnte.
Das Regime reagierte massiv: alle Betriebe, die die Enzyklika gedruckt hatten, wurden enteignet – ihre Schulden ausgenommen; so wurden der Kirche künftige Aktionen dieser Art unmöglich gemacht. Wer außerhalb kirchlicher Gebäude die Enzyklika verteilte, wurde von der Gestapo belangt. Sittlichkeitsprozesse wurden gegen Priester eingeleitet – die deutsche Presse berichtete ausführlich darüber. Es gab Verurteilungen, aber auch Freisprüche – über letztere allerdings berichtete die deutsche Presse nicht.
Im September desselben Jahres, 1937, besuchten zum ersten Mal die Botschafter Frankreichs und Großbritanniens den Reichsparteitag der NSDAP. Als 1938 Hitler Rom besuchte, verließ der Papst die Stadt demonstrativ, um ihm nicht begegnen zu müssen.

Pius XII.

Pius XI. starb am 10. Februar 1939; am 2. März wurde, schon im dritten Wahlgang, Kardinal Pacelli zum Papst gewählt.
Kardinal Pacelli kannte Deutschland sehr gut; er sprach auch fließend Deutsch. Und er hatte ein klares Urteil. 1933 nannte er Hitlers Machtergreifung «verhängnisvoller ... als es ein Sieg der sozialistischen Linken gewesen wäre» (Heinz Hürten: Deutsche Katholiken 1918 bis 1945. Paderborn 1992, S. 193). Im selben Jahr fand der Rabbiner und Denker Leo Baeck: «Die nationale deutsche Revolution, die wir durchleben, hat zwei ineinandergehende Richtungen: den Kampf zur Überwindung des Bolschewismus und die Erneuerung Deutschlands. Wie stellt sich das deutsche Judentum zu diesen beiden? Der Bolschewismus, zumal in seiner Gottlosen-Bewegung, ist der heftigste und erbittertste Feind des Judentums» (Jüdische Allgemeine vom 24.1.2008: Hitlers Machtübernahme/„Ich bin auf alles gefasst“).
Kardinal Pacelli hatte mitgewirkt an der Enzyklika, hatte den Titel «Mit großer Sorge» verschärft zu «Mit brennender Sorge», hatte Aussagen gegen die Rassenideologie eingefügt. So wurde er für die nationalsozialistische Propaganda zur zentralen Figur des kirchlichen Kampfes gegen das Regime und seine Ideologie.
Papst Pius XI. und sein Staatssekretär hatten einander bemerkenswert ergänzt, Kardinal Pacelli hatte seine Stelle an der Seite des Papstes gefunden. Nun, gerade in der schwersten Zeit, mußte er beider Aufgaben allein übernehmen. Daß es ihm schwer viel, das neue Amt zu übernehmen, zeigte sich daran, daß er zeit seines Pontifikats die Tiara nur trug, wenn es unumgänglich war. Er nahm den Namen seines Vorgängers an, wurde Pius XII.. Die Aufgaben mit jemand anderem so zu teilen, wie Pius XI. es mit ihm getan hatte, erschien nicht möglich; daher ernannte er nach 1944 keinen eigenen Staatssekretär mehr.
Pius XII. war der Papst, der sich mühte, die Kirche für die Gegebenheiten der modernen Zeit bereit zu machen, so etwa mit liturgischen Reformen, die zum Teil bis an die Schmerzgrenze gingen (starke Reduktion des Nüchternheitsgebots vor der Kommunion, Abendmesse, Reform des Triduum sacrum) und doch das Wesen der Liturgie achteten. Er sprach Pius X. heilig; doch er war es auch, der mit den Enzykliken Divino Afflante Spiritu von 1943 und Humani Generis von 1950 die katholische Theologie vom überspannten Biblizismus der Bibelkommission Pius’ X. löste. Doch die Lehre der Kirche wußte er unbeschadet zu wahren.

Judenverfolgung und Krieg

Am 1 September 1939 begann der II. Weltkrieg. Seit dem 11. Juni 1940 beteiligte sich das Italien auf Seiten Deutschlands am Krieg. Seitdem war der Vatikan eine winzige Enklave mitten im Gebiet der «Achsenmächte». In Deutschland gab es quasi-staatliche Judenverfolgung, seit am 22. Februar 1933 SA- und SS-Leute zur Hilfspolizei ernannt wurden. Große Ausmaße nahm sie seit den Pogromen der Reichskristallnacht vom 9. auf den 10. November 1938 an; im Laufe des II. Weltkriegs weitete sie sich zum Völkermordes aus.
Im faschistischen Italien spielte der Antisemitismus anfangs keine bedeutsame Rolle, aber Italien geriet zunehmend unter deutschen Einfluß. Anfang 1939 häuften sich antisemitische Verordnungen im Geiste der «Nürnberger Gesetze», die Juden von vielen akademischen Berufe ausschlossen; der Vatikan protestierte nicht nur, sondern wußte auch zu helfen – Pinchas Lapide nennt den Kartographen Prof. Almagià, der, als er seine Anstellung verlor, in den Dienst der Vatikanischen Bibliothek übernommen wurde und unter päpstlicher Ägide die bibliophile Reproduktion einer Landkarte aus der Renaissance herausgeben konnte; ein Exemplar davon ließ Papst Pius XII. dem deutschen Außenminister schenken.
Ende Juni 1943 wird die faschistische Regierung gestürzt; daraufhin erobert Deutschland einen Großteils Italiens; so ist seit dem 10. September 1943 Rom mit Ausnahme des vatikanischen Territoriums dem nationalsozialistischen Völkermordregime ausgeliefert. Der Vatikan selbst, militärisch machtlos kann sich nur auf Verträge stützen.

Der Papst, der redete
Das vatikanische Territorium war umringt von der Militärmacht der faschistischen Regierung, später gar der nationalsozialistische Besatzungsmacht, wehrlos gegen jedwede Willkürmaßnahmen. Die Auslieferung des Osservatore Romano und aller vatikanischen Publikationen konnte unschwer unterbunden werden, Radio Vatikan konnte gestört, Telephon- und Telegraphenleitungen konnten gekappt werden. In Deutschland waren die zuverlässigsten katholischen Druckereien durch die Maßnahmen nach dem Erscheinen von «Mit brennender Sorge» erledigt. Die Verbreitung kritischer kirchlicher Stellungnahmen war in der Zeit des Krieges für jeden lebensgefährlich, der dabei half. So drohten die letzten Kanäle verschlossen zu werden, drohte jede Äußerung die letzte mögliche zu sein. Andererseits war längst alles gesagt: der Antisemitismus, der Faschismus, der Nationalsozialismus waren vom Papst verdammt. So konnte und so mußte der Papst eigentlich kaum mehr reden – er tat es dennoch. Pinchas Lapide (S. 229 f.) zählt mindestens sechs laute Äußerungen Pius’ XII. für Brüderlichkeit mit den Juden, gegen das Blutvergießen. Markantestes Beispiel ist die Weihnachtsbotschaft von 1942: «Questo voto l'umanità lo deve alle centinaia di migliaia di persone, le quali, senza veruna colpa propria, talora solo per ragione di nazionalità o di stirpe, sono destinate alla morte o ad un progressivo deperimento – die, persönlich schuldlos, bisweilen nur um ihrer Volkszugehörigkeit oder ihrer Abstammung willen dem Tode geweiht oder einer fortschreitenden Verelendung preisgegeben sind» (Radiomessaggio di Sua Santità Pio XII alla vigilia del santo natale. Giovedì, 24 dicembre 1942).
Albert Einstein Ende 1940: «Nur die katholische Kirche protestierte gegen den Angriff Hitlers auf die Freiheit. Bis dahin war ich nicht an der Kirche interessiert, doch heute empfinde ich große Bewunderung für die Kirche, die als einzige den Mut hatte, für geistige Wahrheit und sittliche Freiheit zu kämpfen.» (Des savants nous parlent de Dieu, éd. Rend Courtois, p. 70, Bruxelles [P. Lapide 228]).

Der Papst, der lieber rettete als redete
Durch die Lateranverträge völkerrechtlich geschützt waren das Territorium der Vatikanstadt sowie etliche extraterritoriale Kirchen und kirchliche Einrichtungen in Rom. In Rom lebten damals etwa 8000 einheimische Juden und weit über 1000 jüdische Flüchtlinge. Gut 1000 davon fielen der Scho’a zum Opfer; die übrigen wurden gerettet, ganz überwiegend in kirchlichen Einrichtungen und Klöstern. Überall dort wurden Juden untergebracht, in Rom, ebenso im übrigen Italien. So konnten in Italien von den einheimischen 45 000 Juden und den 10 000 jüdischen Flüchtlingen die meisten gerettet werden; 8 000 allerdings fielen doch der Scho’a zum Opfer. Auf päpstliche Anordnung wurde für die Rettung der Juden die Klausur der Klöster außer Kraft gesetzt; in Klöstern – so in den Kellerräumen von San Francesco in Assisi – wurden Synagogen für sie eingerichtet. Geschützt gegen Übergriffe waren sie nur durch die Vertragstreue notorisch vertragsbrüchiger Regime – und keineswegs waren alle kirchlichen Gebäude, die hierfür genutzt wurden, extraterritorial. Letztlich war der einzige Schutz der Juden die Treue des katholischen Volkes zur Lehre der Kirche und zum Papst.
Darum waren Vorsicht und Diplomatie lebensnotwendig. Pinchas Lapide zitiert Don Pizzo Scavizzi: «Ich habe wiederholt erwogen, den Nationalsozialismus zu exkommunizieren, um die Bestialität des Judenmordes vor der zivilisierten Welt anzuprangern. Doch nach vielen Tränen und Gebeten bin ich zu dem Schluß gekommen, daß ein Protest nicht nur den Verfolgten keine Hilfe bringt, sondern sehr wohl das Los der Juden verschlimmern könnte ... Vielleicht hätte mir ein feierlicher Protest das Lob der zivilisierten Welt eingetragen, aber er hätte den armen Juden eine noch unerbittlichere Verfolgung gebracht als die, die sie jetzt zu leiden haben.» (nach Guenter Lewy & Hildegard Schulz: Die katholische Kirche und das Dritte Reich, S. 250, München 1965). Und er zitiert, was Pius XII. am 2. Juni 1943 über die um ihrer Rasse oder Nationalität willen Verfolgten zu den Kardinälen sagte: «Jedes Wort, das Wir in diesem Anliegen an die zuständigen Behörden richteten, und jede unserer öffentlichen Kundgebungen mußte von Uns ernsthaft abgewogen und abgemessen werden im Interesse der Leidenden selber, um nicht ungewollt ihre Lage noch schwerer und unerträglicher zu gestalten» (Aufbau und Entfaltung des gesellschaftlichen Lebens. Soziale Summe Pius’ XII., hrsg. v. Arthur-Fridolin Utz u. Joseph Fulko Groner. Fribourg o.J., Nr. 1913).
Der Papst hatte recht: am 11. Juli 1942 protestierten die niederländischen Bischöfe in einem Telegramm an die Besatzungsbehörden gegen die Judendeportationen: «.. erschüttert durch die Maßnahmen gegen die Juden ... haben mit Entsetzen Kenntnis genommen von den neuen Maßregeln ...»; im Hirtenbrief vom 20. Juli machten sie ihren Protest öffentlich. Dieser Protest, sehr emphatisch, aber ohne ein eigentliches Verdammungsurteil, reichte aus, die deutsche Besatzungsmacht zu veranlassen, nun auch die zur katholischen Kirche konvertierten Juden zu deportieren, während die protestantischen verschont blieben.

Hätte der Papst mehr ausrichten können, wenn er sich anders verhalten hätte? Nun: solche «Was wäre, wenn»-Fragen lassen sich nicht gültig beantworten. Aber ich konnte nichts erkennen, was Zweifel daran erweckt hätte, daß Pius XII. stets die bestmögliche Entscheidung getroffen hat. Die Bemühungen und Leistungen des Papstes wurden allgemein anerkannt und bewundert; Pinchas Lapide zitiert eine Vielzahl von Danksagungen jüdischer Persönlichkeiten und Institutionen an ihn; der römische Oberrabbiner der Kriegszeit, Israel Zolli, nahm bei seiner Taufe den Taufnamen des Papstes, Eugenio, an.

Ich bin kein Historiker, habe keine eigene Quellenforschung betrieben (abgesehen von meiner braunen Brochure). Ich wollte nichts Neues ans Licht bringen – es ist längst genug an entscheidenden Tatsachen bekannt –, sondern die markantesten dieser Tatsachen markant zusammenstellen. Wenn Verleumdungen immer wieder neu veröffentlicht werden, so soll eben auch die Wahrheit immer wieder veröffentlicht werden.
Meine Hauptquelle ist
Pinchas E. Lapide: Rom und die Juden (Freiburg 1967), eine weitere Konrad Löw: Die Schuld (Gräfeling 2002) – ein eigentümliches Buch: eine gewisse Tendenz darin ist mir unverständlich. An Quellen bin ich bei ihm einmal auf eine so obskure Publikation gestoßen, daß ich meinte, ein wichtiges Zitat auslassen zu müssen; dann aber habe ich dieses Zitat von der Jüdischen Allgemeinen bestätigt gefunden. von diesen beiden Autoren habe ich viele Informationen übernommen, ohne sie in jedem Fall besonders zu nennen. Weitere Informationen habe ich von Michael F. Feldkamp: Goldhagens unwillige Kirche (München 2003).

Die Ursache der Aufstände

Die aktuellen Aufstände in arabischen Ländern erscheinen einerseits begrüßenswert, insofern sie sich ja gegen recht üble Machthaber richten; andererseits erfüllen sie viele arabische Christen mit Sorge, denn der Sturz des noch übleren Diktators Saddam Husein hat ja eine furchtbare Christenverfolgung ausgelöst. Darum wohl hat der koptische Papst Schenuda III. die Christen gewarnt vor einer Teilnahme an diesen Demonstrationen.

Von Daniel Bax habe ich nun einen beachtlichen Kommentar gelesen über diese Aufstände:
«Bemerkenswert ist, dass die Proteste ausgerechnet in Ägypten und Tunesien am stärksten eskaliert sind: Beides sind prowestliche Regimes, die in den vergangenen Jahren ihre Wirtschaft liberalisiert haben und damit auch in ökonomischer Hinsicht bislang als Musterschüler in der Region galten. Doch von Privatisierungen, von der Öffnung der Märkte profitierte in Ägypten wie in Tunesien nur eine kleine Elite. Das Gros der Bevölkerung litt unter steigenden Preisen, ökonomischer Verdrängung und wachsender Arbeitslosigkeit. Während die Landbevölkerung verarmte und das traditionelle Handwerk fast vollständig vernichtet wurde, wuchs die Wut auf eine Oberschicht, die ihren neuen Reichtum immer ungenierter zur Schau stellte.
Im Westen wird gerne übersehen, wie sehr die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich den Unmut in der Region angefacht und oft den Islamisten in die Hände gespielt hat.»
Sicher wäre es überzogen, wenn man das zusammenfaßte in den Satz: «Nicht der Islam ist die Ursache des Islamismus, sondern der Wirtschaftsliberalismus.»
Doch festzustellen bleibt, daß diese Aufstände eine Folge des Elends sind, in die der vom Westen (Bundesdeutschland natürlich mittenmang dabei) aufgedrängte Wirtschaftsliberalismus diese Länder gestürzt hat; und es bleibt zu hoffen, daß die Folge der Aufstände weder islamistische Regime sind noch islamistischer Terror.

Dienstag, 1. Februar 2011

Wenn es denn nun sein muß: Thema Zölibat

Wenn man heutzutage vom Zölibat spricht, so meint man in aller Regel das Gesetz, daß nur unverheiratete – ledige oder verwitwete – Männer zu Priestern geweiht werden. Allgemein anerkannt ist, daß dies positives Recht in der lateinischen Kirche ist, welches der Papst aufzuheben berechtigt wäre. Das zu tun wird gegenwärtig wieder als Heilmittel gegen den Priestermangel propagiert.
Die geistliche Bedeutung des Zölibats kann ich hier nicht diskutieren; auch will ich nicht diskutieren, ob der Zölibat dazu beigetragen hat, daß der katholische Klerus dem Zeitgeist, so etwa der nationalsozialistischen Ideologie, weitaus besser widerstanden hat als ein Großteil der protestantischen Geistlichkeit. Ich will hier nur ganz pragmatisch fragen, ob eine solche Aufhebung wirklich zum Nutzen der Kirche wäre.

Im frühen III. Jahrhundert wirft Hippolyt, der als erster Gegenpapst gilt, Papst Kallistus vor, dieser habe Kleriker, die heiraten, im Klerus verbleiben lassen. Ein solcher Vorwurf konnte nur bestehen, wenn die Norm, die Hippolyt einfordert, damals als allgemeingültig akzeptiert war. Also bestand damals schon die Norm – seit wann, bleibt ungewiß –, daß Kleriker zwar verheiratet sein dürfen, doch wenn sie es nicht sind, nun, nach ihrer Weihe, nicht mehr heiraten dürfen. Ob Hippolyts Vorwürfe gegen den Papst stimmen, ist nicht zu klären; sicher festzustellen ist die Norm, auf die er sich beruft.
Später gab es Bestätigungen dieser Norm – die Synode von Neocaesarea (314/15) ordnet an: Priester, die heiraten, verlieren ihr Amt (c. I) – und geringe Einschränkungen – die Synode von Ancyra (314) erlaubt: Diakone dürfen heiraten, wenn sie sich das bei ihrer Weihe ausdrücklich vorbehalten haben (c. X). Insgesamt aber ist das die Norm, die bis heute im Osten wie im Westen gilt: wer eine höhere Weihe empfangen hat, darf nicht mehr heiraten.
Eine etwas spätere Entwicklung ist, daß nur unverheiratete Männer zu Bischöfen – so bis heute im Osten – und dann schließlich im Westen auch zu Priestern nur unverheiratete Männer geweiht werden. Zuvor schon werden sie darauf hingewiesen, daß, wenn sie sich weihen lassen, «castitatem illo adjuvante servare oportebit» (so im extraordinären Usus vor der Weihe zum Subdiakon) – eine Zölibatsverpflichtung also zumindest gleicher Verbindlichkeit wie die für die «ausgewählten» Witwen.

Verheiratete Männer zu Priestern zu weihen, könnte der Papst grundsätzlich erlauben, wie das ja auch für verheiratete konvertierte protestantische Pastoren sein Papst Pius XII. geschieht und für die katholischen Ostkirchen selbstverständlich ist. Verheiratete Männer zu Bischöfen zu weihen, wäre dagegen ein Bruch mit den heutigen Ostkirchen und darüber hinaus mit einer anderthalbtausendjährigen gesamtkirchlichen Tradition, kann also nicht in Betracht gezogen werden.
Erst recht ist es nicht möglich, schon geweihten Priestern zu erlauben, zu heiraten, denn daß verstieße nicht nur gegen eine alte gesamtkirchliche Tradition, sondern gegen eine schon in der Märtyrerzeit bezeugte allgemeinverbindliche Norm. Dazu kommt die ausdrückliche persönliche Verpflichtung der Weihekandidaten, deren hohe Verbindlichkeit schon im Neuen Testament für die «ausgewählten» Witwen klar eingefordert ist.

Die Zölibatsverpflichtung aufzuheben hieße also, verheiratete Männer zur Priesterweihe zuzulassen, nicht aber, schon geweihten Priestern die Ehe zu gestatten.
Die Zölibatsverpflichtung aufzuheben hieße somit, die Priester, die sich bisher schon zum Priesteramt berufen sahen und dafür den Zölibat auf sich genommen haben, wissen zu lassen: wenn sie gewartet hätten, der eine sehr lange, der andere aber nur Monate, Wochen oder gar Tage, dann könnten sie jetzt bald verheiratet sein und Priester sein – jetzt aber, nach ihrer Zölibatsverpflichtung und ihrer Weihe, geht das nicht mehr.
Die geistliche Bedeutung des Zölibats wollte ich hier nicht diskutieren; ich will hier nur ganz pragmatisch fragen, ob es wirklich zum Nutzen der Kirche wäre, unseren Priestern diese Botschaft zu vermitteln.