Antisemitismus ist hier zu Lande verpönt. Nur ganz rechts im politischen Spektrum wird er noch offen ausgesprochen. Allerdings suchen sich manche in diesem Teil des Spektrums auch mit nationalistischen Juden zu verbünden, um auf diese Weise sich gegen Araber wenden zu können. Auf der linken Seite wird Antisemitismus seit jeher strikt abgelehnt – „Nie wieder Auschwitz“ –, was freilich linke Terroristen nicht daran hinderte, schon 1976 eine Selektion durchzuführen, die Juden verständlicherweise an die Selektionen von Auschwitz erinnerte. Nach einer Flugzeugentführung fand unter den Passagieren die „Selektion von Entebbe“ statt: die jüdischen Passagiere wurden ausgesondert, um sie gegen palästinensische Terroristen auszutauschen oder aber sie umzubringen.
Aber im Großteil unserer Gesellschaft, von rechts bis links, gilt doch Antisemitismus nicht als statthaft.
Was also tun, wenn man dennoch gegen Juden polemisieren will?
Die beliebte Lösung: statt „Juden“ sagt man: „Ultraorthodoxe“.
Den Ultraorthodoxen darf man ungestraft alles Schändliche zuschreiben, was man über Juden sagen möchte. Insbesondere darf man sie für all das Üble verantwortlich machen, was die israelische Regierung an militant nationalistischer Politik betreibt.
Die Wirklichkeit ist ganz anders.
Charedim oder „Ultraorthodoxe“ sind einfach Juden, die ihren Glauben ganz ernstnehmen. Die, die ihn für nationalistische Zwecke instrumentalisieren, nennt man „Nationalreligiöse“.
Ein Buch von Tuvia Tenenbom, „Gott spricht Jiddisch / Mein Jahr unter Ultraorthodoxen“ (Berlin 2023) gibt einen ausgezeichneten Einblick in das Leben der aschkenasischen Charedim in Israel.
Der Autor schreibt in einem entsetzlichen amerikanischen Stil, der auch durch die Übersetzung ins Deutsche nicht abgemildert wurde. Doch mit seiner Kenntnis der aschkenasisch-charedischen Kultur, seiner Fähigkeit, mit diesen Menschen ins Gespräch zu kommen, seiner Sympathie für sie und zugleich seiner Distanz zu ihren Lehren (an denen er sich manchmal kurios verbeißt) ist er ein ausgezeichneter Zeuge für das Leben in ihrer Welt.
Zionistischer Nationalismus ist ihnen völlig fremd. Im Gegenteil: unter ihnen ist ein manchmal geradezu makabrer Antizionismus zu finden. Ein (extremer) charedischer Rebbe, dessen Visitenkarte die palästinensische Flagge zeigt, erklärt: „Zionisten sind keine Juden“ (S. 122 f.). Nach dem jüdischen Gesetz, wie Charedim es verstehen, ist es gestattet, den Sabbat zu entweihen, um einem Juden das Leben zu retten. Einen anderen charedischen Rebbe fragt der Autor, ob Benjamin Netanjahu „am Sabbat gerettet werden“ sollte, „wenn man ihn nur retten kann, indem man den Sabbat nicht einhält?“ – „Ich denke nein. Es wäre nicht erlaubt, den Sabbat zu entweihen, um ihn zu retten.“ (S. 141)
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