Es gibt viele Atheisten, die die Kantaten von Johann Sebastian Bach lieben, immer wieder gerne hören. Diese Kantaten sind voller Glaubensaussagen, meistens so gesungen, daß der Text gut verständlich ist. Warum finden diese Atheisten dennoch nicht zum Glauben?
«Worte sind Schall und Rauch», sagt man. Daß es gesagt wird, gesungen wird, schön klingt, das reicht nicht aus, es zu glauben; es reicht nicht einmal aus, zu glauben, daß die Sänger selber daran glauben (was auch in der Tat nicht immer gewährleistet ist). «Ich glaube nur, was ich sehe», ist eine andere Redensart, eine dumme zwar, die aber eine psychologische Grundlage hat: wenn ein Mensch etwas sagt, so muß das, was ich an ihm sehe, die Art seines Auftretens, seines Verhaltens, mit dem übereinstimmen, was er sagt, damit seine Worte glaubwürdig sind.
Unsichtbarer Glaube ist steril – darum ist die körperlich sichtbare Hinwendung zu Herrn, an dessen Gegenwart man glaubt, zentrales Element jeder Liturgie. Jede Kniebeuge, jede tiefe Verneigung, der man die Hingabe ansieht, sagt mehr als jede Predigt. Und jede Kniebeuge, die unterlassen wird, jede Verneigung, die nur angedeutet wird, macht mehr zunichte, als irgendeine Predigt es auszugleichen vermag.
Ich habe viele gute Priester kennengelernt, an deren Glauben nicht zu zweifeln ist (allerdings habe ich auch Priester erlebt, die ihren Unglauben offen gezeigt haben). Aber auch bei solchen gläubigen Priestern habe ich in den Messen, die sie zelebrierten, wenig von ihrem Glauben gesehen. So fühlte ich mich mit meinem schwachen Glauben oft allein – das Wissen kommt nicht an gegen das, was man sieht.
In deutschen katholischen Messen ist zu erleben, daß der Priester es eilig hat, zu Beginn nach flüchtigem Altarkuß die liturgischen Formeln zu erledigen, um dann bei seinen eigenen Worten an die Gemeinde zu verweilen. Man kann erleben, wie der Priester die Gemeinde willkommen heißt zum Gottesdienst, als sei er der Gastgeber, nicht der Diener («il Servo» sagte Papst Pius X.).
Vor wenigen Monaten habe ich erlebt, wie bei einer Festmesse, zu der Priester von auswärts angereist waren, die vier Priester schnell gemeinsam die Verehrung des Altares (Grundordnung des Römischen Messbuchs 211) erledigten, dann an den Sitzen sehr ausgiebig sich gegenseitig begrüßten – kein Einzelfall.
«Ma, se vi debbo esprimere un desiderio, (è) quello che in Chiesa ... non salutiate neanche il Papa, perché templum Dei, templum Dei – Aber wenn ich einen Wunsch äußern soll, dann den, daß ihr in der Kirche ... nicht einmal den Papst begrüßt, denn templum Dei, templum Dei (der Tempel Gottes ist Tempel Gottes)», sagte einst Papst Johannes XXIII. Die Grundordnung des Römischen Messbuchs erlaubt dem Priester, «mit ganz knappen Worten die Gläubigen in die Messe jenes Tages ein[zu]führen» – begrüßt werden darf nur mit den liturgischen Formeln, die den Herrn einbeziehen, die Aufmerksamkeit nicht von ihm abwenden.
Oft habe ich an der Nachtwache in St. Prokop in Hamburg teilgenommen. In dieser russisch-orthodoxen Kirche habe ich mit Staunen erleben können, daß der Glaube sichtbar ist. Priestern, Diakon, Ministranten, alle sind, körperlich sichtbar, ganz dem Herrn zugewandt, vollziehen mit große Achtsamkeit die Riten. Der Priester übt über mehr als zweieinhalb Stunden mit Hingabe seinen Dienst aus, ohne auch nur zu predigen; daran, daß er «einen schönen Sonntag» wünschte, ist gar nicht zu denken. So fühlen sich die Gläubigen in ihrer persönlichen Frömmigkeit ernstgenommen. Ihre Teilnahme ist viel aktiver als in deutschen katholischen Kirchen. Schon draußen vor der Kirchentür machen sie drei Metanien (Kreuzzeichen, verbunden mit einer tiefen Verneigung, die hier unsere Kniebeugen vertreten). Sie verehren die Ikonen, küssen das Evangelienbuch mit mehreren Metanien, greifen aber auch einmal praktisch zu, wenn vom Kirchenschmuck etwas verrutscht. Sie nehmen innerlich am Gesang des Chors teil, zeigen sich dabei keineswegs weniger intensiv beteiligt als Katholiken beim Mitsingen von GL-Liedern – man sieht, wie sie dabei zur rechen Zeit Kreuzzeichen und Metanien machen. Doch beim abschließenden langen Marien-Lied singen sie mit Inbrunst mit.
Einen ganz anderen Ritus erlebe ich in der syrisch-orthodoxen Kirche, doch in der geistlichen Substanz ist es das gleiche. Ob man in katholischen Kirchen mit Schuhen in den Altarraum treten dürfe, fragte mich der Bruder meines syrisch-orthodoxen Patenkindes mit leichtem Entsetzen. Ich schämte mich etwas, das bejahen zu müssen. Gern hätte ich gesagt: «Ja, aber andererseits ...»; doch leider fiel mir nichts an «aber andererseits» ein.
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