Das
ewige Leben besteht in voll gestillter Sehnsucht; denn dort besitzt jeder
Selige mehr, als er sich ersehnte und erhoffte. Das kommt daher, daß niemand im
irdischen Leben seine Sehnsucht stillen kann und daß etwas Geschaffenes niemals
das Verlangen des Menschen erfüllt. Gott allein stillt es, und er allein
übertrifft es unendlich. So erklärt es sich, daß die Sehnsucht niemals zur Ruhe
kommt außer in Gott, wie Augustinus sagt: „Du hast uns, Herr, für dich
geschaffen, und unser Herz ist unruhig, bis es in dir ruht!“
Weil
die Heiligen im Vaterland Gott vollkommen besitzen, ist es klar, daß ihr
Verlangen gestillt wird und daß die Herrlichkeit noch darüber hinausgeht. Darum
sagt der Herr: „Komm, nimm teil an der Freude deines Herrn.“ (Mt 25, 21) Denn
volle Freude dringt nicht in die Glücklichen ein, sondern die Glücklichen
treten ganz in die Freude ein. „Ich will mich satt sehen an deiner
Herrlichkeit, wenn sie erscheint“ (Ps 17, 15 Vg.), und wiederum: „Deine
Sehnsucht erfüllt er mit Gütern.“ (Ps 103, 5 Vg.) Was immer Freude bereitet,
das alles gibt es dort in Überfülle. Wenn jemand nach Freuden strebt: Dort ist
größere und vollkommenere Freude, weil sie von Gott, dem höchsten Gut, kommt.
Es heißt: „Zu deiner Rechten ist Wonne für alle Zeit.“ (Vgl. Ps 16, 11)
Das
ewige Leben besteht auch in der frohen Gemeinschaft aller Seligen. Sie ist eine
überglückliche Gemeinschaft, denn jeder liebt alles Gute mit allen Seligen
gemeinsam. Jeder liebt den anderen wie sich selbst. Darum freut er sich über das
Glück der andern wie über das eigene. Daher kommt es, daß Freude und Glück des
einen mit dem Glück der andern wächst.
Hl. Thomas von Aquin (†
1274)
Aus der Schrift über das
Glaubensbekenntnis
(Aus: Die Feier des
Stundengebetes, Monastisches Lektionar, II-II, S. 397; Lesehore/Vigil am Samstag der 19. Woche im Jahreskreis II)
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