Eine furchtbare Zahl: von 1950 bis 2020 wurden zwischen 165.000 und 270.000 Kinder in Frankreich sexuell mißbraucht von Priestern oder Ordensleuten (Les violences sexuelles dans l’Église catholique / France 1950-2020. Rapport de la Commission indépendante sur les abus sexuels dans l’Église. Octobre 2021, § 0575, p. 222).
Daß Priester und Ordensleute überhaupt dergleichen begehen, ist furchtbar, aber irgendwie hat man sich in den letzten Jahren daran gewöhnt, davon zu hören; und daß 2,5-2,8 % der französischen Priester und Ordensleute sich in dieser Weise schuldig gemacht haben (§ 0070, p. 40), übertrifft die Erwartungen nicht. Und die geringeren Zahlen bei Schulen, Sport und Ferienlagern (ibid.) mögen davon beeinflußt sein, daß dort bisher weniger nachgeforscht wurde.
Was aber entsetzt, ist, daß die Hochphase dieser Taten die Jahre 1950-1970 umfaßt, also schon vor den Wirren der sechziger Jahre begonnen hat (§ 0267, p. 125 – freilich sank danach nicht nur die Zahl der Übergriffe, sondern auch die der Priester und Ordensleute, die sie begehen konnten). Was entsetzt, ist weniger, daß den Kindern nicht sogleich geglaubt wurde – daß man zunächst einmal Vertrauen zu Priestern und Ordensleuten hatte, war verhängnisvoll, aber dahinter steht ein Dilemma: «Jeder Obere, jeder Vorgesetzte muß Vertrauen haben zu denen, die ihm anvertraut sind» –, als vielmehr, daß, wenn es dann klar wurde, nicht die Normen des kanonischen Rechts strikt angewandt wurden (§ 0269, p. 125), sondern die Täter nur versetzt wurden oder auch in Spezialkliniken gewiesen und dann wieder im priesterlichen Dienst eingesetzt wurden (§ 0270, p. 126), als hätte Therapie eine gleichsam sakramentale Wirkung. «Namentlich in Diözesen mit schwacher religiöser Praxis» sei es nur zu Versetzungen gekommen (§0270) – so führte der geistliche Niedergang in den Diözesen zu geistlichem Versagen der Ordinariate, das wiederum diesen Niedergang verschärfen mußte. Und schlimm ist, daß Opfer zu einem Eid des Schweigens gedrängt wurden (§ 0269).
Anderswo wurde berichtet, eine amerikanische Ordensfrau sei «von einem Freund gefragt worden, warum Katholiken nach all den Skandalen nicht austreten sollten, und nach einem langen Schweigen habe sie geantwortet: „Wir bleiben wegen Jesus Christus.“»
Dieser Antwort kann man nur beipflichten. Aber wenn von ebendieser Ordensfrau geschrieben wird, es falle ihr «in letzter Zeit sehr schwer, die Worte des Glaubensbekenntnisses zu rezitieren: „Eine, heilige, katholische und apostolische Kirche“», so darf man sich daran erinnern, daß die Kirche nicht die Kirche all dieser Mietlinge, des Kardinals …, die der Bischöfe … und … und wie sie alle heißen (ich verzichte darauf, Namen anzuführen, die mir vor Augen sind) ist, sondern Kirche Jesu Christi, des Herrn, des Kyrios (Kyriakè Ekklesía), ist. Und es ist die Kirche der Apostel und Heiligen – und daß unter den Aposteln Christi auch Judas Iskariot war, hat damals niemanden vom Glauben an seine Kirche abgebracht.
Jedem Bischof, jedem Priester bleibt das Recht unbenommen, sich ganz privat nach seiner Façon auf den Weg in die Hölle zu machen. Wenn er allerdings dieses Recht mit seinem Auftreten in seinem Amt verbindet, so ist das schlimm – aber auch Judas Iskariot hat das schon getan.
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