Das neue
„Gotteslob“ – erste Durchsicht
von Ulrich
Terlinden
Das neue Gotteslob ist gedruckt und wird
gerade an die Gemeinden ausgeliefert. Nach einigen Tagen des Studiums ist mein
Eindruck durchaus gemischt.
LIEDER
Der Liedteil hat gegenüber dem
Vorgängerbuch sehr gewonnen: Viele schöne neue Lieder sind hinzugekommen, nicht
wenige qualitätvolle aus der protestantischen und anglikanischen Tradition. Ich
freue mich über die deutsche Fassung von Veni, veni, Emmanuel (nGL 222, leider
mit dem politisch korrekten „Immanuel“, der ja doch über das lateinische
„Emmanuel“ zu uns gefunden hat). Manche Hymnen aus dem Stundenbuch haben mit
schönen Melodien Einzug gehalten.
Wenige liebgewonnene Lieder sind
entfallen. Warum dazu auch das beliebte Zieh an die Macht, du Arm des Herrn (aGL 304) gehört,
entzieht sich meiner Kenntnis. Waren die „Macht“ Gottes und der „Kampf“ der
Gläubigen Stein des Anstoßes?
Manche Lieder haben ihren alten Text
wiederbekommen (so kommt in Sagt an, wer ist doch diese „die Braut“
wieder „aus Nazaret“ – immer noch ohne „h“). Schön ist auch, daß Herz Jesu,
Gottes Opferbrand und Herr, ich bin dein Eigentum Aufnahme gefunden
haben. Schade ist, daß die unpopuläre Melodie von Alle Tage sing und sage nicht durch die
sogenannte alte ersetzt oder wenigstens ergänzt wurde. Gleiches gilt für Maria,
breit den Mantel aus. Bedauerlich auch, daß die dritte Strophe von Beim letzten
Abendmahle bei der dünneren jüngeren Fassung „aus liebevollem Sinn“
bleibt, statt zu „am blutgen Kreuzaltar“ zurückzukehren. Bei Christ ist
erstanden hat man die „Zwitter“-Melodie des alten Gotteslob beibehalten,
die ein Kompromiß zwischen katholischer und protestantischer Fassung sein
wollte. Das Evangelische Gesangbuch von 1996 (EG 99) hat die Fassung des alten
Gotteslobs übernommen, aber die veränderte, jubelnde Melodie der
Halleluja-Strophe beibehalten. Das neue Gotteslob ignoriert dieses
Entgegenkommen der Protestanten und bleibt bei der 1970er-Jahre-Fassung. Aber
sei’s drum. Insgesamt ist der Liedteil des neuen Gotteslobs ein Gewinn!
LITURGISCHER TEIL
Auch der liturgische Teil kann sich sehen
lassen: Messe, Laudes und Vespern sind mit Lesungen und Orationen versehen, so
daß man im Notfall keine liturgischen Bücher braucht. Schön, daß es nun eine
Totenvesper gibt. Auf die Stundenbuch-Hymnen hatte ich schon hingewiesen. Die
Responsorien enden auf „Ehre sei dem Vater...“ und nicht mehr auf „Singt das
Lob des Vaters...“, wie man auch bei den Psalmen, deren Ton und Sprachfluß es
verlangen, den Mut zum Dativ-E hatte („Ehre sein dem Vater und dem Sohne...“).
68 Psalmen haben Aufnahme gefunden; im
alten Gotteslob waren es (je nach Zählweise) 76. Zum Teil sind sie jetzt
ungekürzt (etwa Ps 121/122, aGL 692, nGL 68), aber eben nur zum Teil: In Ps
136/137 (nGL 74) oder Ps 138/139 (nGL 657) fehlen nach wie vor die von Papst
Paul VI. als unchristlich verdammten Verse – und zwar ohne daß das angemerkt
wäre. Diese Unterlassung hat dann doch einen merkwürdigen Beigeschmack.
Die lateinischen Ordinariumsgesänge
(Choral ist unschön immer noch im 5-Linien-System wiedergegeben) sind um das
wunderbare Kyrie der 11. Messe (für Sonntage) erweitert. Leider ist im Meßteil
nur der II. Kanon abgedruckt – allerdings in der revidierten Textfassung, die
ja nun, wie man hört, doch nicht erscheinen soll.
LITANEIEN
Die Litanei vom Heiligsten Sakrament im alten
Gotteslob (767) war geistlich tief und auch gut für eucharistische Betstunden
mit leseschwachen Kindern und Jugendlichen geeignet; sie ist nun ersetzt durch
die Litanei von der Anbetung Christi (nGL 562), die auch schön ist, aber mit
einem einzigen, recht langen Kehrvers und ohne Bitten auskommt.
HAUSANDACHTEN
Eine häusliche Adventsfeier ist sicher eine
gute Idee. Eine eigene für den Heiligen Abend, die ja nur einmal im Jahr zu
gebrauchen ist, ist vielleicht – von der Vergabe des zur Verfügung stehenden
Platzes her – ein wenig „opulent“.
GEBETE UND ANDACHTEN
Der Gebetsteil des neuen Gotteslobs ruft Beklemmung
hervor. Gegenüber dem Vorgängerbuch ist bei Andachten wie „privaten“ Gebeten
ein fast vollständiger Kahlschlag erfolgt. Sicher stand nicht alles, was im
alten Gotteslob zu finden war, auf der Höhe der abendländischen
Spiritualitätsgeschichte. Aber es gab eben doch Gebet zum Heiligsten Herzen Jesu
von Margarita Maria Alacoque, auf die die Herz-Jesu-Verehrung zurückgeht (aGL
780, 6, fehlt in der neuen Herz-Jesu-Andacht nGL 676, 3), es gab eine Fülle von
kurzen Gebeten, die für die persönliche Andacht, als Bußgebet nach der Beichte
oder auch als Kommuniongebet gut geeignet waren (hier ist das Ausmaß der Streichung besonders auffällig). Ich vermisse das Gebet Papst
Clemens XI., (aGL 8, 1), das schöne Gebet um Humor (aGL 8, 3) und andere.
Merkwürdig gekürzt ist das Gebet Ich komme wie ein Kranker zum Arzt des
Lebens vom heiligen Thomas von Aquin, aGL 374, 5 vgl. nGL 8, 4).
Im neuen Gotteslob sind zwar durchaus gute
und auch klassische Gebete zu finden. Doch an die Stelle vieler alter Gebete
sind solche von noch lebenden, bekannten und unbekannten Personen getreten. Sie
sind meist „zeitgemäß“, also in leicht verständlicher Sprache und ohne sperrige
Begriffe verfaßt. Man merkt ihnen beim ersten Lesen an, daß sie sich schnell
abnutzen werden. Manches ist modisch („Du Gott des Aufbruchs...“ nGL 13, 5,
„Maria, ich nenne dich Schwester“ nGL 10, 2) und atmet eher den Geist der
1970er als den der Ewigkeit.
WARUM?
Die Herausgeber meiden offenkundig Gebete
der Tradition, z. B. das des heiligen Thomas (aGL 7, 6), in dem es heißt: „Laß
mich gehorsam sein ohne Widerspruch, arm im Geiste ohne Niedrigkeit der
Gesinnung, rein ohne Flecken, geduldig ohne Klage ... wahrhaft ohne Trug.“ Nun
begegnen wir eher Formulierungen wie „ich sehe in deinem Gesicht die Würde und
Hoffnung der Frauen, wir trauen gemeinsam dem Licht, wir singen gemeinsam das
Lied der Befreiung, wir tragen es in die Welt“ (nGL 10, 2). Warum?
Ja, manche alte Gebete sind sperrig. Man
muß sich eben daran abarbeiten, sie sich mühevoll zu eigen machen, sie
begreifen, so wie man den Genuß guten Weines in all seinen Nuancen lernen kann.
Dann aber sind sie zu einem persönlichen Schatz geworden. Die oft seichten
neuen Gebete erheben diesen Anspruch nicht. Sie sind leichte Kost, schnell
langweilig, fad, wenig nahrhaft.
Ein Freund, vor einigen Jahren
konvertiert, betet mit Inbrunst das Gebet „Heiliger Michael, verteidige uns im
Kampfe“. Sicher, das „schockt“, ist „politisch unkorrekt“, aber es ist kernig
und drückt für ihn etwas von der Situation der Gläubigen in einer
gottvergessenen Zeit aus, das übrigens unser Herr Jesus Christus selbst in
aller Klarheit gekannt und gesagt hat (Mt 10, 34). Der Freund wird im Gebetsteil
des neuen Gotteslobs wenig Anregung für sein Beten finden. So erstaunt es auch
nicht mehr, daß das St. Michaelslied Unüberwindlich starker Held (aGL 606) fehlt –
um so bedauerlicher, als der Engelsfürst doch Patron Deutschlands ist.
Steht hinter einem solchen Konzept die
Angst anzuecken? Traut man den Gläubigen die Tiefe und Fülle des klassischen
christlichen Gebetsschatzes nicht mehr zu, fürchtend, daß sie daran Anstoß
nehmen? Sorgen die Herausgeber sich, daß Niveau die (ungläubigen, suchenden)
Menschen verschrecken könnte?
„Das neue Gotteslob kommt zehn Jahre zu
früh“, prophezeite vor Jahren ein Freund – und hat recht behalten. Die überall,
auch im Liedteil des neuen Gotteslobs beobachtbare Wiederentdeckung der
Tradition, der Reiz des Alten, das uns heute kostbar erscheint, Neues sagen,
uns bereichern und stärken kann, hat im Gebetsteil wenig Beachtung gefunden. Er
ist leider noch geprägt von einer anbiedernden Haltung („Wir sind gar nicht so
schlimm, komm, ich erklär’s dir“). Es hat über weite Strecken weniger Gott und
dessen heilsame Verehrung als den Menschen im Blick, dem man wenig Verständnisfähigkeit
und Auseinandersetzungsbereitschaft zutraut, und offenbart darin eine
unterschwellige Arroganz. Und selbst wenn viele Zeitgenossen nicht bereit sein
sollten, sich mit Sperrigem auseinanderzusetzen, werden sie sich auch durch das
neue Gotteslob nicht überzeugen lassen. Das haben die niedrigschwelligen und
erklärungsdurchsetzten Liturgieversuche der letzten Jahrzehnte gezeigt.
KUNST
Vergleichbares gilt für die „Kunst“, die das
neue Werk ziert. Es sind – oft unmotiviert plazierte – Strichzeichnungen.
Bereits auf dem grauen Buchumschlag erscheint eine dem Adobe-Logo ähnelnde
Grafik. Um mit Luther zu fragen: Treibt das Christum? Oder erinnert solche
Kunst nicht eher an des Kaisers neue Kleider oder an die fingierte
Kunstlieddarbietung von H. P. Kerkeling („Der Wolf, das Lamm – Hurz“), wie ich
in einem Gespräch mit Studenten über das neue Gotteslob hörte?
wohin soll das
führen?
Angenommen, ein Religionssoziologe aus Fernost erforscht die
katholische Kirche in Deutschland. Er weiß aus Studien, daß vor 50 Jahren die
katholischen Priester zum Beginn des Kultes mit den am Altar mitwirkenden Laien
folgendes, aus der jüdischen Mutterreligion übernommenes Gebet gesprochen
haben: „... Sende dein Licht und deine Wahrheit, damit sie mich leiten;
sie sollen mich führen zu deinem heiligen Berg und zu deiner Wohnung. So will ich zum
Altar Gottes treten, zu Gott, der meine Jugend erfreut. Jauchzend will ich dich
auf der Harfe loben, Gott, mein Gott. ...“ – und das in lateinischer Sprache.
Nun studiert der Forscher das neue Gotteslob, in dem als Gebet „zur
Vorbereitung auf den Gottesdienst“ folgendes vorgesehen ist: „Gott, du lädst
mich ein zum Gottesdienst. Ich bin gekommen und stehe jetzt vor dir. Ich darf
dir dienen. Du bist ganz nahe in deinem Wort und im Heiligen Brot (sic!!).
Dafür danke ich dir. Amen.“ (nGL Bistum Münster 705, 4) Welche Schlüsse in Bezug
auf den Zustand der Religionsgemeinschaft (Niveau, Selbstbewußtsein und
-anspruch, Vitalität) wird der Forscher aus seiner Beobachtung ziehen?
Treffer. Glückwunsch.
AntwortenLöschenSo weit kommt es, wenn man die Sakralsprache und die Sprache der Liturgie dem Zeitgeist und der Sprache der Strasse anpasst. Und wie armselig ist das Ergebnis.
viator fidelis
Das kommt dabei heraus, wenn man seine Zuflucht nicht bei den Heiligen sucht, sondern Kommissionen zu Wort kommen.
AntwortenLöschenWas würde ein Ethnologe wohl daraus folgern:
Er würde einen Bruch konstatieren, so etwas wie "Sprachverlust", eine offensichtliche Infantilisierung der Sprache, Egozentrismus, Transzendenzverlust. Vielleicht würde er eine völlig neue Religion erkennen.
Inhaltlich gebe ich dir recht, das ist unbedingt ein Abstieg. Gerechtigkeitshalber würde ich allerdings anmerken wollen: man mache sich doch bitte keine Illusionen, inwieweit dieses Gebet von den „am Altar mitwirkenden Laien“ damals verstanden oder auch nur deutlich ausgesprochen ist. Ich hab da schon Schilderungen gehört, da erkennt man außer einigen Silben nichts mehr. Dasselbe Stufengebet in Deutsch, das wärs.
AntwortenLöschenMein Vater erzählte mir, sein Kaplan habe großen Wert darauf gelegt, daß die Meßdiener auch verstehen, was sie da beten. - Aber gerne auch auf deutsch.
AntwortenLöschenWollte Maria uns Brüder, Schwestern nennen – es wäre eine große Gnade. Wenn ein GL-Konsument „Maria, ich nenne dich Schwester“ sagt, so ist das nur geschmacklose Anmaßung.
AntwortenLöschenWenn Maria meine Schwester ist, bin ich dann der Onkel von Gott?^^
AntwortenLöschenGelungene Durchsicht! Man darf sich doch wohl zurecht Sorgen um die europäischen Nichtgläubigen machen! Mich würde es auch nicht interessieren, geschweige denn überzeugen. Meines Erachtens nach darf man den Menschen ruhig etwas zutrauen, ohne Beschäftigung mit dem Glauben wird das nichts!
Ich vermisse das alte Gotteslob. Damit bin ich aufgewachsen. Mit dem neuen kann ich nichts anfangen. Das neue wird die Suchenden auch nicht anziehen und die alten Hasen werden vergrault. Ausserdem kommt das Alte wieder. Schallplatten, Kassetten, Videokassetten usw. In unsicheren und schweren Zeiten gibt das Alte und Vertraute Halt. Das ist beim neuen modernen Kram nicht der Fall. Auch in der Kirche nicht. Sie sollte sich nicht für die oberflächliche Masse verbiegen.
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