Dienstag, 25. Mai 2010

Der „Großinquisitor“

Die Brochure «Männer um den Papst», ein Pamphlet aus dem Zentralverlag der NSDAP gegen die katholische Kirche, das wohl durch meinen Onkel in den Familienbesitz gekommen ist – er betätigte sich in der Jugendarbeit der Diözese Münster und wollte wohl den Feind genauer beobachten; er ist später im II. Weltkrieg gefallen –, hatte ich hervorgeholt, um die braunen Angriffe gegen Kardinal Pacelli aufzuzeigen. Dabei bin ich auf Angriffe gegen eine weitere dem Kundigen wohlbekannte Persönlichkeit der Kirche gestoßen.
Die Brochure umfaßt, wie bereits gesagt, außer vier Anhängen sechs Kapitel, deren erstes die Organisation der Kurie darstellt, die nächsten vier beschreiben vier Männer der Kurie, das sechste einige Nuntien. Von jenen Männern der Kurie sind zwei Kardinäle – Eugenio Pacelli und Giuseppe Pizzardo –, der dritte ein Erzbischof – Celso Costantini –, der vierte aber ein einfacher Monsignore aus dem heiligen Officium, weswegen dieses Kapitel «Der „Großinquisitor“» überschrieben ist (S.20). Daß er seinem so mäßigen Rang zum Trotz so ausführlich besprochen wird, zeigt die Gefährlichkeit, die die Nationalsozialisten ihm als Gegner beimaßen.

Bilder, auf denen Alfredo Kardinal Ottaviani zu sehen war, gelangten schon 1963 in die breite Öffentlichkeit, als er als Kardinal-Protodiakon die Wahl Kardinal Montinis zum Papst verkündete und ihn dann mit der Tiara krönte. Bekannter wurde er aber sechs Jahre später, als er zusammen mit Kardinal Bacci das Breve esame critico del «Novus Ordo Missae» herausgab – das veranlaßte den Papst zwar, die Einleitung dieses Novus Ordo abzuändern, nicht aber den Ordo selbst.
Etwas weniger bekannt ist, daß Ottaviani, ein Mann aus dem einfachen Volk sich mit großem Engagement persönlich und finanziell der armen Jugendlichen von Trastevere und aus der Umgebung des Vatikan und von Trastevere annahm. Und er trat zudem ein für die Bekämpfung sexuellen Mißbrauchs; er verfaßte Crimen sollicitationis, eine Schrift, durch die das Vorgehen dagegen mit entschiedener Strenge geregelt wurde – ausgerechnet dieses Werk wurde vier Jahrzehnte später mittels falscher Wiedergabe zur Diffamierung des Kardinals benutzt.
Alfredo Kardinal Ottaviani war ein durchaus konservativer Mann. Nichtsdestoweniger aber bekannte er sich schon 1947 zu einem klaren Pazifismus, erklärte: «Bellum omnino est interdicendum».
Ein Mann also, der sich gleichermaßen um das Wohl der Kirche, um ihre Lehre, ihre Liturgie, und um das Wohl armer und gefährdeter Jugendlicher verdient gemacht hat.
Dieser Alfredo Ottaviani war es, der schon in der dreißiger Jahren den Nationalsozialisten als hochgefährlicher Gegner, als «Großinquisitor» erschien:
«Der eigentliche Chef des Heiligen Offiziums ist aber der sehr junge und ungewöhnlich tatkräftige Assessor Mgr. Alfredo Ottaviani ... ein Todfeind des totalen Staates» (S.6), befindet die braune Brochure.
«Das heilige Offizium wacht und duldet keinen Abstrich an der reinen Lehre, und diese Lehre der Kirche verurteilt als öffentliche Todsünde die „Statolatrie“, die „Staatsvergötzung“» (S.20).
«.. und sein
[Mgr. Ottavianis] „Lehrbuch des Kirchenrechts“, das im Jahre 1935/36 in 2. Auflage erschien und das besonders die Beziehungen des Staates zur Kirche behandelt, ...
Natürlich enthält das Buch die bekannte katholische Lehre vom Staat, der nicht die Quelle des Rechtes ist, sondern eine ganze Reihe von überstaatlichen Gebilden und Rechten, Familie, Stamm, Elternrechte und Rechte der Person, kurzum das gesamte Naturrecht, bereits vorfindet, wozu noch das göttliche Recht der Kirche kommt. Das Staatsrecht wird durch diese älteren Rechtssphären begrenzt, und der Zweck des Staates besteht lediglich in der Sorge um das zeitliche Wohl der Bürger, die nur soweit in Anspruch genommen werden dürfen, als es das Gemeinwohl verlangt. ... Ein Staat, der sich selbst als alleinige Quelle des Rechts betrachtete oder dem als Aufgabe etwa der Schutz oder die Erhaltung der Reinheit des Blutes und der germanischen Rasse zugewiesen wird, mißachtet die göttliche Rechtsordnung und begeht die Todsünde der „Statolatrie“. Darum verurteilt Ottaviani in diesem Lehrbuch in aller Form die [S.22] faschistische und nationalsozialistische Staatslehre, den „Hitlerismus“, wie er sich wörtlich ausdrückt (Band II, Seite 17)»
(S.21 f.).

PS. Die braune Brochure habe ich gescannt und als pdf-Datei gespeichert. Wer sie für die Dokumentation des Kampfes des NS-Regimes gegen die Kirche brauchen kann, kann von mir eine Kopie erhalten.

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