Mittwoch, 30. Juni 2010

Alte Messe ist Zeitgenossenschaft


Aus einem Brief an einen Professor für Kirchengeschichte:

herzlichen Dank für die beiden Texte. Ich habe sie mit Freude und Gewinn gelesen – und fühlte mich ein wenig in die gute alte Studienzeit versetzt.


Natürlich kann und will ich keine historische Diskussion versuchen. Ein „Urzustand“ der Liturgie ist ja ohnehin wissenschaftlich immer eine Hypothese und kann daher redlicherweise nicht als Ideal für die heutige Liturgie gelten, weil morgen schon neue historische Erkenntnisse gewonnen werden können. Außerdem: Die Menschen des 4. Jahrhundert lebten in einem anderen kulturellen Kontext als wir.

Lassen Sie mich meinen Zugang zur Liturgie mit einem Vergleich beginnen: In meiner Studienzeit bot der Alttestamentliche Lehrstuhl noch Vorlesungen „Zur Theologie der Priesterschrift“ an. Das ist vielleicht ein interessantes Unterfangen, bringt aber glaubensmäßig nichts. Sicher ist es z.B. gut, die verschiedenen Schöpfungsmythen Babylons und Ägyptens zu kennen, um deren Spuren in der Bibel wieder zu entdecken. Aber das bringt mich nicht näher zu Gott. (Entschuldigung, aber als Pastor kommt man sehr schnell zu der schlichten Frage: Was bringt das?) Natürlich bin ich ein großer Freund der Geschichte und der Geschichtswissenschaft, denn das „bringt“ Identitätsbewußtsein. Es geht mir nicht um eine unwissende, geschichtsvergessene Naivität – im Gegenteil. Meines Erachtens sollten wir aber anerkennen, daß es genau diese Geschichte ist, die uns zum gegenwärtigen Zustand geführt hat – und daß diese Geschichte, insofern sie die Kirche, die Liturgie oder die Heilige Schrift betrifft, vom Heiligen Geist gewirkt oder wenigstens durchdrungen ist. Das heißt: die „real existierende Gegenwart“ der Kirche und ihrer Liturgie ist nicht das Ergebnis einer Dekadenz, sondern einer – vorsichtig gesagt – vom heiligen Geist begleiteten Entwicklung, die, da durch und mit Menschen geschehend, immer auch Fehler beinhaltet, als ganze aber nicht irregeht.

Praktisch gesagt: Ich muß mich mit dem Meßbuch in erster Linie versöhnen und nicht es kritisieren. Wenn ich z.B. höre, daß bei einer Klausur in Liturgiewissenschaft an einem deutschen Lehrstuhl die Aufgabe gestellt wird „Kritisieren Sie das II. Hochgebet“, dann frage ich: Was bringt das? Und: Wo führt das hin? Und die letzte Frage ist leicht zu beantworten: zum Ringbuch und zu einer Vergewaltigung der Gläubigen durch die meist doch recht dürftigen Eigenkreationen von Priestern, die sich besser an das Meßbuch hielten. Sicher hatte Papst Gregor der Große eine viel freiere und großherzigere Haltung in dieser Frage als Pius V.. Aber die ausgehende Antike war auch eine andere Zeit als die nachreformatorische Zeit. Wenn Papst Gregor wüßte, was viele Priester der Kirche heute am Altar den Gläubigen „bieten“, wäre er sehr schnell bei der Lösung Pius’ V: ein verbindliches Meßbuch für alle.

Wir müssen auch die Mobilität und Kommunikationsmöglichkeiten der Moderne berücksichtigen: Was der Papst heute morgen auf dem Petersplatz sagt, lese ich eine Stunde später an meinem Schreibtisch. Menschen verreisen, ziehen öfter um und fahren mit dem Auto zu einer Kirche, die ihnen aus irgendwelchen Gründen zusagt. Soll es da von Kirche zu Kirche so zugehen, wie es dem Priester oder einem Liturgiekreis gefällt? Das wäre doch Gift, brächte Verwirrung und Spaltung hervor. In Städten mag eine gewisse „Angebotsbreite“ gerechtfertigt sein, namentlich in Universitäts- oder Studentenkirchen (obwohl ich auch da skeptisch bin). Aber in einer Pfarrgemeinde (mit dem „Auftrag zur flächendeckenden Grundversorgung“), muß nach dem gültigen Missale zelebriert werden, vor allem um die Gläubigen vor Einseitigkeit, Willkür, Geschmacklosigkeit und Platitüden zu schützen.

Vor diesem Hintergrund sehe ich auch die Erlaubnis, nach dem alten Missale zu zelebrieren. Das ist kein zurück in die Unfreiheit – das geschieht Anfang des 21. Jahrhunderts, in dem sich sehr individuelle Christen über weblogs und facebook vernetzen und auf einmal feststellen: es gibt viele, die die alte Messe lieben und wollen, die aber nichts mit den Piusbrüdern zu schaffen haben wollen und „merkwürdigerweise“ menschlich völlig normal sind. Es ist ein Akt der Freiheit, der in sehr bewußter Zeitgenossenschaft geschieht – in Faszination für die „Objektivität“, Erhabenheit und Sakralität des Ritus, von dem natürlich jeder weiß, daß auch er seine Geschichte und seine Brüche hat. Aber in unserer orientierungslosen, hastigen und jenseitsvergessenen Zeit steht der alte Ordo mit den genannten Eigenschaften für das, was die Menschen zum Heil führen kann. Kurz: Das ist jetzt „dran“.

5 Kommentare:

  1. "Wenn ich z.B. höre, daß bei einer Klausur in Liturgiewissenschaft an einem deutschen Lehrstuhl die Aufgabe gestellt wird „Kritisieren Sie das II. Hochgebet“, dann frage ich: Was bringt das? Und: Wo führt das hin? Und die letzte Frage ist leicht zu beantworten: zum Ringbuch ..."

    Gerade am II. Hochgebet gibt es allerdings eine Menge zu kritisieren (zuvörderst natürlich seine Genese, seine Propagierung in der Mogelpackung "Kanon des Hippolyt", den Umstand, daß es zu 98% den Römischen Kanon verdrängt hat, weil es ja "so schön kurz" ist, daß eh sich das Volk - so noch üblich - hingekniet hat und wieder Ruhe eingekehrt ist, schon die Wandlung da ist, seine generelle Dürftigkeit etc. etc.) Insofern könnte eine richtige Kritik daran ja auch in die entgegengesetzte Richtung, nämlich zur verstärkten oder - wage ich's zu sagen? - ausschließlichen Verwendung des Römischen Kanons.

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  2. Am Ende meines Kommentars fehlt "führen".

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  3. Ein Hochgebet gilt es nicht zu kritisieren, sondern zu beten bzw. mitzubeten.

    D.h. natürlich nur wenn man gut katholisch sein will.

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  4. @Resident:

    In der Messe ja. Aber wenn man außerhalb der Messe darüber spricht, kann man es selbstverständlich kritisieren, so schon recht früh der (u.a.) dafür von Joseph Ratzinger belobigte Msgr. DDr. Klaus Gamber, Leiter des Liturgiewissenschaftlichen Instituts der Diözese Regensburg. Das war ja der Dreh der Bugnini-Jünger, alles, was sie einmal bei Paul VI. durchgedrückt hatten, als unangreifabr darzustellen. Über dieses traurige Stadium sind wir nun zum Glück endgültig hinaus.

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  5. Ja und nein, Gregor!

    Kritisieren, wie man dies oder das besser formulieren könnte, kann man natürlich - nur gilt das für jeden liturgischen Text und zwar OHNE Ausnahme.

    Sollte es aber nur ein Bekritteln von Texten der ordentlichen Form des Römischen Ritus gehen, die Außerordentliche aber in noch jeder so abseitigen Pirouette für sakrosankt erklärt werden, dann nicht.

    Und wenn ich "Genese, seine Propagierung in der Mogelpackung "Kanon des Hippolyt" lese, dann ist das keine legitime Kritik mehr.

    Wenn beklagt wird, daß Kanon II "zu 98% den Römischen Kanon verdrängt hat", dann trifft das noch nicht mal mehr ansatzweise den Kanon selbst, weil der Kanon selbst ja nicht für seine (weite) Benutzung verantwortlich ist. Wie jeder liturgische Text sagt er nur: "Lies mich!"

    "so schön kurz" sollte nicht das oberste Kriterium sein, doch ist es auch kein Grund für Ablehnung. "Viele Worte machen" ist nicht gleichbedeutend mit Würdigkeit.

    ""daß eh sich das Volk ... hingekniet hat und wieder Ruhe eingekehrt ist, schon die Wandlung da ist"

    Ein solches Problem habe ich noch nie erlebt. Was ist an Hinknien unruhig.

    Der Anwurf "seine generelle Dürftigkeit" ist selbst nichts anders als dürftig.

    Ob es übrigens ein Theologe namens Ratzinger mit dem Lob eines anderen getan hat, tut ja inhaltlich nichts zur Sache.

    Die Liturgie, einschließlich des Kanon II, ist die Liturgie der Katholischen Kirche, nicht die von Bugnini-Jüngern. Sind wir über dieses Stadium hinaus? Wenn ich mir traditionalistische Pseudokritik, warum denn der NOM "defektiv" sei, ja wohl nicht.

    An einer "ausschließlichen Verwendung des Römischen Kanons" scheint ja dann wohl keinerlei Kritik erwünscht zu sein.

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