Ja, leider!
Natürlich waren in früherer Zeit Priester, Ordensleute und katholische Lehrer genau so unterschiedlich wie heute; und ich habe von der älteren Generation sehr verschiedene Schilderungen gehört, oft sehr gute – allerdings auch ...
Die persönlichen Erlebnisse, die ich von älteren Bekannten oder gar Klienten gehört habe, möchte ich hier nicht ausbreiten; doch auch ich selber habe noch etwas davon mitbekommen. Meine Lehrerin aus dem 2. Schuljahr, eine fromme und liebevolle Frau, damals schon weit jenseits der Pensionsgrenze, empörte sich über die unanständigen jungen Leute, die auf der Straße Eis essen, mit der Zunge! Von einer noch älteren Lehrerin habe ich gehört, daß in ihrem Seminar unanständige Wörter verboten waren; so mußten die jungen Damen damals «Beinfutteral» anstelle von «Hose» sagen.
Aber es waren nicht nur solche Kuriositäten, auch nicht nur das XIX. Jahrhundert, in dem der im übrigen bedeutende Papst Leo XII. nützliche Errungenschaften der modernen Technik verdammte. Wenn der Index librorum prohibitorum die Lecture des Gros’ der neuzeitlichen Philosophen den Katholiken untersagte, sogar die der Werke Renés Descartes, dessen Dualismus zwar nicht zu halt en ist, der nichtsdestoweniger in seinen Meditationen wichtige Beiträge zur Apologetik gebracht hat, so heißt das, daß Katholiken sich an philosophischen Diskussionen nicht wirklich beteiligen konnten.
Ganz aktuell zeigt ein Zeitungsinterview mit einer älteren modernen Nonne, wo noch die Ghettomentalität bis in unsere Zeit florierte, und klärt dabei die Frage, was eigentlich katholisch ist.
Eine Weiße Schwester hat ihr Ordensleben dem Bemühen gewidmet, Prostituierten herauszuhelfen, in Kenia, dann auch in Europa. Im Interview sagt sie gute, wichtige Dinge: daß sie, damals in Mombasa, keine Prostituierte getroffen hat, die mit ihrer Lebenssituation zufriedengewesen wäre; daß es hierzulande nötig war, «Frauen in der Prostitution Zugang zu Versicherungen» zu garantieren, aber daß durch das neue Prostitutionsgesetz, das davon ausgeht, Prostitution sei «ein Beruf wie jeder andere», es «viel schwieriger geworden» ist, «Frauen, die Opfer von Menschenhandel sind», aus den Bordellen zu befreien.
Allerdings nutzt sie das Interview auch, mit Gemeinplätzen gegen Papst Johannes Paul II. und Ratzinger zu polemisieren, gegen die «Amtskirche», die «ja sehr ins Zwielicht geraten» sei «durch Affären».
Woher diese unbegründete Animosität einer engagierten Ordensfrau gegen die eigene Kirche?
An einer anderen Stelle des Interviews sagt sie etwas, was in mir Verständnis erweckt: «Wir hatten im Kloster auch Seminare, die uns auf die Ehelosigkeit vorbereiteten. Die Oberin sagte, wir müssen die Sinne beherrschen, was ich richtig finde. Aber ihr Vorschlag, dass wir die Augen schließen sollen, wenn etwas schön ist, oder dass wir nicht an allem riechen sollen – das fand ich blöd.»
In solchen Ratschlägen der Oberin erkenne ich etwas von dem berüchtigten katholischen Ghetto des XIX. und frühen XX. Jahrhunderts. Natürlich war damals nicht die ganze Kirche so geartet, aber solche Haltungen hatten in ihr doch Raum – privat habe ich ähnliches und schlimmeres gehört.
Die Schwester sagte: «Nach der Stunde bin ich in den Garten und habe an jeder einzelnen Blume gerochen.» Sollte jemand noch unsicher sein, wer da katholischer war, die damals noch junge Schwester oder ihre Oberin, der denke an den Brief, in dem Basileios d.Gr. Gregor von Nazianz gegenüber von seinem Klösterchen schwärmt:
«So sehe ich einen Ort vor mir in Wirklichkeit, wie wir ihn uns bei Muße und im Scherze oft vorzumalen pflegten. ... Der sie umgebende Urwald mit den verschiedenen und mannigfaltigen Bäumen dient ihr fast gar als Zaun, so daß im Vergleich zu ihr sogar die Insel der Kalypso, die Homer wegen ihrer Schönheit mehr als alle Inseln bewunderte, unansehnlich erscheint. ... Unsere Hütte trägt ein anderer Bergsattel mit einem etwas erhabenen Plateau davor, so daß man die erwähnte Ebene unten vor seinen Augen liegen sieht und von oben herab auch den Fluß ringsum überschauen kann. Dieser bietet, wie wenigstens mir scheint, nicht weniger Genuß als der Strymon, von Amphipolis aus betrachtet.»
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