Donnerstag, 31. Oktober 2024

Was war da vor 507 Jahren?

In den östlichen und nördlichen Bundesländern ist nicht etwa so wie in den anderen Allerheiligen Feiertag, sondern der Vorabend des Festes, auf Englisch „Halloween“.
Das wird in protestantischen Kirchen dazu genutzt, an ein kleines Ereignis zu erinnern, das vor 507 Jahren stattgefunden hat. Was es damit auf sich hat, ist beim Chronisten von Orietur Occidens zu lesen.

Mittwoch, 30. Oktober 2024

Üble Nachrede gegen die Kirche und den seligen Carlo Acutis

Unter dem Titel „Nekromantischer Wanderzirkus“ ist ein Artikel über den seligen Carlo Acutis erschienen, in dem neben Kritik an der Rundfahrt des Herzens des Toten – die durchaus beanstandet werden darf – die bedeutendste Leistung des Seligen, sein Netz-Situs über Eucharistische Wunder, mittels einer Unwahrheit in übles Licht gerückt wird:
«Während seines kurzen Lebens war der Knabe ganz in seinen Hobbys aufgegangen: katholische Messe und Homepagebasteln. Besonders gerühmt wird die, auf der er einen in 17 Sprachen übersetzten Katalog sogenannter „eucharistischer Wunder“ präsentiert hat.
Das ist der widerlichste Aspekt der Historie vom heiligen Nerd: Diese Spezialkategorie der Wunder erzählt fast immer, wie Juden christlich geweihte Hostien geklaut, geschändet und mit Messern auf sie eingestochen hätten – woraufhin aus der Oblate Blut ausgetreten sei. Diese Legenden sollten zum Hass aufstacheln – und sie haben in Frankreich, Belgien und Deutschland Pogrome und Vertreibungswellen ausgelöst.»
«Diese Spezialkategorie der Wunder erzählt fast immer ...» – die Wirklichkeit: unter mehr als hundert Wundern, die der Situs des Seligen anführt, sind einige wenige, die an einen Hostiendiebstahl anknüpfen; und unter diesen sind drei, bei denen Juden beschuldigt wurden, ansonsten wurde die Schuld an solchen Taten bei Christen gesehen (und auch bei diesen dreien findet sich auf dem Situs nichts von der Beschuldigung gegen Juden). Eines von diesen dreien, das von Brüssel 1370, endete in der Tat mit einem Massaker an Juden; bei einem weiteren, Posen 1399, ist über derartige Folgen nichts zu ermitteln. Vom frühesten, Paris 1290, wird ein versöhnliches Ende berichtet: «Dieses Wunder habe viele der Augenzeugen zum christlichen Glauben gebracht, so auch den Verfasser des Berichts» (Wikipedia s.v. Hostienfrevel).
Unter den eucharistischen Wundern, die der Selige anführt, sind etliche sicher belegte, aber auch einige, die eher sagenhaft erscheinen. Weniger ist manch mal mehr – besser wäre es gewesen, wenn er etwas strenger ausgewählt hätte, wenn diese drei jedenfalls nicht dabei gewesen wären (allerdings war die Prüfung für ihn nicht leicht: das Netz war seinerzeit viel weniger umfangreich als heute). Aber es sind drei unter mehr als hundert: unter den eucharistischen Wundern stellen sie eine Ausnahme dar, nicht etwa, wie es jener Artikel vorgibt, die Regel.
Zu genauerem Verständnis solcher Schuldzuschreibungen an Juden ein Blick auf den zeitgeschichtlichen Hintergrund:
Während vor der ersten Jahrtausendwende Juden in Westeuropa recht friedlich leben konnten, kam im nördlichen Teil Europas im späten XI. Jahrhundert ein mörderischer Antisemitismus auf. Die Kirche stellte sich dem entgegen: Päpste protestierten, der wortgewaltigste Prediger der Zeit, der heilige Bernhard von Clairvaux, wurde nach Deutschland gerufen, um zugunsten der Juden zu predigen. Es nutzte nichts, Massaker wurden verübt. Bischöfe – besonders die Erzbischöfe von Köln und Mainz, die Bischöfe von Worms und Speyer – taten ihr Bestes, Juden zu retten, zum Teil unter eigener Gefahr, gaben ihnen Zuflucht in ihrer Kathedrale oder ihrer Residenz, waren oft aber machtlos gegen den Ansturm des Pöbels.
Vorwand für die Pogrome waren oft Kinderraub und Ritualmord, seit der Wende des XIII. Jahrhunderts Hostienfrevel, seit der Mitte des XIV. Jahrhunderts, als die Pest sich ausbreitete, Brunnenvergiftung. Päpste bemühten sich, dem entgegenzuwirken; Gregor X. ging so weit, anzuordnen, dass eine Zeugenaussage eines Christen gegen einen Juden nur gültig sei, wenn sie von einem Juden bestätigt wird (W. Durant / E. Schneider: Kulturgeschichte der Menschheit, Frankfurt / M. 1981, Bd. 6, S. 60). Das richtete wenig aus, aber doch mehr als nichts – der Rabbiner und Historiker Salo Wittmayer Baron schrieb: «Wäre die katholische Kirche nicht gewesen, so hätten die Juden das Mittelalter im christlichen Europa nicht überstanden» (A Social and Religious History of the Jews. New York 1937, Bd. II, S. 85; hier nach W. Durant / E. Schneider, ebd.).
Die Faktengrundlage für solche Beschuldigungen:
Bei den angeblichen Brunnenvergiftungen war es die Pest. Daß die Pest durch verdorbenes Wasser ausgebreitet werden könnte, ist medizinisch nicht haltbar, doch noch in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts tauchte diese Vorstellung noch in einem Lied («Wir lagen vor Madagaskar») auf.
Zu Hostienfreveln hatten Juden keine Veranlassung; das ihnen zugeschriebene Interesse, durch Mittelsleute an Hostien zu kommen, um sie zu entweihen, erscheint weit hergeholt. Es mag aber Hostiendiebstähle durch abergläubische Christen gegeben haben, derer dann Juden beschuldigt wurden; vor allem aber ist mit reiner Erfindung zu rechnen.
Kinderraub und Ritualmord wären mit der jüdischen Religion nicht vereinbar. Für diese Beschuldigungen wußte Papst Gregor X. eine einfache Erklärung: «Es geschieht, daß die Väter gestorbener Kinder oder andere Christen, die Feinde der Juden sind, diese toten Kinder insgeheim versteckten und versuchen, Geld von den Juden zu erpressen. … Sie behaupten durchaus wahrheitswidrig, daß die Juden selbst diese Kinder gestohlen und ihre Herzen und ihr Blut geopfert hätten» (nach Pinchas Lapide: Rom und die Juden. Ulm 1997, S. 23).
„Wunder“, die mit judenfeindlichen Berichten verknüpft waren, haben auf örtlicher Ebene auch Beifall beim Klerus gefunden, haben dort auch zu befremdlichen Andachtsübungen und -bräuchen geführt; die Kirche aber hat sich immer wieder gegen Beschuldigungen gewandt, welche dem Pöbel Anlaß zu Pogromen gaben.
Ein Kirchenmann des XIII. Jahrhunderts, der Prämonstratenser Petrus von Herentals, schrieb seinerzeit über Brunnenvergiftungen und Judenmorde:
«Aliqui planetis ascribebant, qui venena ex diversis visceribus terrae extraherent, venenis aeri permistis, et aerem venenosum attrahentibus hominibus – Manche schreiben die Pest den Planeten zu, die Gifte aus verschiedenen Eingeweiden der Erde herauszögen, wodurch sich die Gifte mit der Luft vermischten und Menschen die giftige Luft einzögen.»
«Alii ad intoxicationem fontium et puteorum referebant, et hoc Judaeis maxime imputabant, propter quod in diversis provinciis, et specialiter in Brabantia inhumaniter ducebantur ad mortem – Andere führten sie auf Vergiftung der Quellen und Brunnen zurück, und das unterstellten sie vor allem den Juden, weshalb diese in verschiedenen Provinzen, und insbesondere in Brabant, auf unmenschliche Weise zu Tode gebracht wurden.»
«Ego magis credo, pestem illam potissimum ex voluntate divina contigisse, ut mundus in maligno postitus purgaretur a contagiis viciorum, et per maximam causam interfectionis Judaeorum – Ich glaube eher, daß jene Pest durch göttlichen Willen aufgetreten ist, damit die Welt, die im Bösen ihren Platz genommen hat, gereinigt werde von den Einwirkungen der Laster, und hauptsächlich [des Lasters / der Sünde] des Mordes an den Juden.»
Christoph Cluse: Studien zur Geschichte der Juden in den mittelalterlichen Niederlanden. Forschungen zur Geschichte der Juden, hrsg. von Alfred Haverkamp, Abteilung A: Abhandlungen, Band 10, Hannover 2000

Samstag, 19. Oktober 2024

In memoriam Mons. Bernard Tissier de Mallerais

Vor zehn Tagen ist Bischof Bernard Tissier de Mallerais von der Priesterbruderschaft Sankt Pius X. gestorben. Er war ein sehr kluger, hochgebildeter, sehr ehrlicher, völlig integrer Mann.
Er galt als intransigent. Doch war auch er es, der Mons. Marcel Lefebvre vor der Weihe der vier Bischöfe angefleht hatte, diese Weihen zu unterlassen. Daß Papst Benedikt diese Bischöfe von der Exkommunikation befreit hatte, ohne von ihnen Reue zu verlangen, zeigt, daß er ihre Schuld nicht so schwer einschätzte, daß ihr eine solche Strafe entsprochen hätte. Es war ein Verstoß gegen die kirchliche Disziplin, nicht gegen das Wesen des Sakraments.
Die Piusbruderschaft ist nun in einer schwierigen Situation. Würde sie ohne römische Erlaubnis einen neuen Bischof weihen, so drohten die Errungenschaften von mehr als anderthalb Jahrzehnten verloren zu gehen, drohte die Spaltung der Kirche sich zu vertiefen. Tut sie das nicht und ein weiterer Bischof stürbe, so könnte sie im äußersten Notfall keinen Bischof mehr weihen – drei Bischöfe sollen es sein, die eine Bischofsweihe spenden, zur Not können es zwei sein, so wie es bei diesen vier Bischöfen damals geschehen ist. Aber ganz allein einen Bischof zu weihen ist dem Papst vorbehalten.
Beten wir, daß noch zu Lebzeiten der verbleibenden beiden Bischöfe eine Einigung mit Rom gelingt.

Donnerstag, 17. Oktober 2024

Der echte Friedensgruß

In seinem Werk Der Geist der Liturgie (Freiburg 2000, S. 183) bemängelt Kardinal Ratzinger, daß «bei der gegenwärtigen Ordnung durch den Friedensgruß häufig eine große Unruhe in der Gemeinde entsteht.»
Dem ist so. Zwar hat schon die Institutio generalis des neuen Missale (82.) angeordnet, den Friedensgruß «nur denen zu geben, der einem am nächsten stehen, in nüchterner Weise», und unter Papst Franziskus I. hat die Gottesdienstkongregation das neu eingefordert und verschärft, doch die Wirklichkeit in unseren Kirchen ist ganz anders.
Papst Benedikt XVI. hat darum bei Gelegenheit vorgeschlagen, den Friedensgruß ostkirchlicher Sitte entsprechend zur Opferung zu verlegen. Aber eine andere Lösung erschiene sinnvoller.
Wieder einmal hatte ich Gelegenheit, an der Liturgie der syro-antiochenischen Kirche teilzunehmen, konnte dort wieder deren Friedensgruß erleben, wie wir öfters schon geschildert haben. Er wird dort wie im Novus Ordo mit den Händen weitergegeben, folgt im übrigen aber ganz der altkirchlichen Tradition des Friedenskusses. Natürlich wie in allen Ostkirchen zu Beginn der Opferung; aber nichts ist dabei, was Unruhe auslöst. Und es hat auch nichts von Handschlag; es ist eine echte Weitergabe des Friedens – die, die den Frieden mit ihren Händen empfangen und dann weitergegeben haben, streichen sich mit den Händen noch einmal übers Gesicht, um den empfangenen Frieden sich noch mehr zu eigen zu machen.
Was in der lateinischen Liturgie not täte, wäre nicht die Verlagerung des Friedensgrußes, sondern die gute Ordnung des Ritus; die syro-antiochenische Liturgie bietet da ein Vorbild, das in Einklang ist mit der älteren römischen Tradition.

Montag, 7. Oktober 2024

Der 7. Oktober – doppelter Gedenktag

Am 7. Oktober vor einem Jahr geschah ein grauenhaftes Verbrechen durch eine Terroristenarmee, das zu einer grauenhaften Reaktion führte.
Die Anteilnahme der Christen gebührt den unschuldigen Opfern, die es auf beiden Seiten in überreichem Maße gibt.
Weniger Grauen, darum weniger beachtet, nichtsdestoweniger schmerzhaft: das Schicksal der Christen – es sind Araber, Palästinenser, aber auch Armenier und Griechen –, die auf beiden Seiten bedrängt werden.
Und so kann man sich erinnern an den 7. Oktober vor 453 Jahren:
Lange Zeit war es eine ausweglose Situation: 1354 hatten die Osmanen Europa erreicht, Gallipoli an den Dardanellen (Hellespont) erobert, 1453 eroberten sie Konstantinopel, 1529 belagerten sie zum ersten Mal Wien; damals halfen nur die Wetterverhältnisse, sie abzuwehren. Gegen die Kriegsgefangenen und gegen die Bevölkerung der eroberten Gebiete gingen sie mit Massenenthauptungen und mit Versklavung vor, die christliche Bevölkerung wurde mit der „Knabenlese“ terrorisiert. Mitteleuropa geriet in Angst und Schrecken, was auch zur „Reformation“ beitrug. So war es eine wirkliche Befreiung, als am 7. Oktober 1571 mit der Seeschlacht von Lepanto die osmanische Vormacht zur See gebrochen wurde.
Die Kirche schrieb es der Fürbitte Marias zu, der 7. Oktober wurde zum Fest Mariens de victoria, vom Sieg, erklärt, das viel später dann zum Rosenkranzfest wurde.
Der türkische Diktator Erdoğan wünscht einerseits ein neoosmanisches Reich zu errichten, spendet andererseits der Hamas in dieser Zeit des Mordens Beifall.