Am Samstag vor einer Woche: nachts gegen ½ 3 aufstehen, um dann um ½ 4 im Bus zu sitzen, später über 2 Stunden auf dem saukalten Feld stehend nichts zu tun als zu warten – hat sich das gelohnt?
Es hat sich gelohnt. Es hat sich gelohnt, diesen Papst bei der Zelebration des heiligen Opfers zu erleben. Und es hat sich gelohnt, die großen Reden zu lesen, die er bei anderen Gelegenheiten seiner Deutschlandreise gehalten hatte.
Nicht nur ich – viele sind glücklich über diesen Besuch.
Doch in den großen Medien dominieren ganz andere Stimmen. Der Papst habe in der Ökumene enttäuscht, habe innerkirchlicher Reform eine Absage erteilt. Man kann nur staunen: welcher Papst hätte in den Jahrzehnten zuvor solche Leistungen in der Ökumene vollbracht? Durch die Apostolische Konstitution «Anglicanorum coetibus» wurden viele Anglikaner mit der katholischen Kirche vereint und nebenbei noch die ganze «Anglo-Lutheran Catholic Church». Mit den Ecôniten sind Gespräche im Gange, die Raum für Hoffnung geben; über die orthodoxen Kirchen sagte er bei seiner Deutschlandreise: «Und so wagen wir zu hoffen, auch wenn menschlich immer wieder Schwierigkeiten auftreten, daß der Tag doch nicht zu ferne ist, an dem wir wieder gemeinsam Eucharistie feiern können.» Innerkirchliche Reform hat er durch das Motu proprio «Summorum pontificum» und die Instruktion «Universae Ecclesiae» ins Werk gesetzt; er hat Maßnahmen gegen den sexuellen Mißbrauch getroffen. Weitere Reformen hat er auf seiner Deutschlandreise angeregt: «Vielen Menschen mangelt es an der Erfahrung der Güte Gottes. Zu den etablierten Kirchen mit ihren überkommenen Strukturen finden sie keinen Kontakt» und «Ich denke, ehrlicherweise müssen wir doch sagen, daß es bei uns einen Überhang an Strukturen gegenüber dem Geist gibt.»
Warum werden dennoch Enttäuschungen vorgebracht? Die Antwort geben Erwartungen und Wünsche, die konkret geäußert wurden.
Der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider durfte unmittelbar zuvor in unserer Kirchenzeitung erklären, «dass das Evangelium in ganz bestimmter Weise neu zum Glänzen gebracht wurde und etwa, dass das, was der Kirchenvater Augustinus sagte, mit Hilfe Martin Luthers ganz neu in das Bewusstsein der Zeit hineingebracht wurde.» Wohlgemerkt: es geht um jenen – für ihn selbst zentralen, mit dem christlichen Glauben freilich nicht gut zu vereinbarenden – Teil von Luthers Theologie («de servo arbitrio» schrieb er), den schon Melanchthon abzumildern in Angriff nahm, der im folgenden Jahrhundert von den Pietisten unauffällig entsorgt wurde und der heute nur noch durch die Köpfe einer erfreulich kleinen Schar von Gnesiolutheranern und Calvinisten geistert. Wenn Herr Schneider nicht Unmögliches und Destruktives von Papst gewünscht hätte, sondern einen Schritt zur Kirche hin gemacht hätte, etwa erklärt hätte, er wolle anstreben, daß protestantischerseits keine «Pastorinnen» mehr ordiniert werden, um so wenigstens ein Hindernis für eine künftige Ökumene abzubauen, das von den Reformatoren nicht einmal beabsichtigt gewesen war ...
Der ZdK-Vorsitzende Alois Glück hat gewünscht, daß etwa wiederverheiratet Geschiedene (gemeint ist: standesamtlich Geschiedene und anderweitig Neuverheiratete) wieder zur Kommunion dürften, was er für «Barmherzigkeit» hält. Daß das weder einfach so möglich noch «barmherzig» ist, habe ich gerade schon festgestellt.
Wenn Herr Glück nicht Unmögliches von Papst gewünscht hätte, sondern einen Schritt zum Abbau des Überhangs von Strukturen in Angriff genommen hätte, etwa die Abschaffung des ZdK, des Forums, durch das Politiker ungebührlich in die Kirche hineinreden ...
Die Enttäuschung ist selbstgemacht: wer vom Papst erwartet, daß der sich den fixen Ideen anderer unterwirft, wird zu recht enttäuscht werden.
Montag, 3. Oktober 2011
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