In den letzten Jahren waren sexuelle Übergriffe das große Thema; doch nicht minder schwer wiegen Mißhandlungen von Kindern und Jugendlichen in Kinderheimen und Internaten – besonders aus Irland wurde von Nonnenkonventen Schlimmstes berichtet. Aber auch hierzulande wußte noch vor nicht sehr langer Zeit jeder Katholik, daß es unterschiedlichste Nonnen gibt, äußerst liebevolle ebenso wie haßerfüllte, grausame.
Wie konnte das sein, wie konnte es dazu kommen?
Bis ins frühe XX. Jahrhundert war es üblich, daß Familien unversorgte Töchter ins Kloster wiesen; auch daß Eltern ihre Töchter dorthin schickten, weil sie das für ein frommes Werk hielten, war nicht ungewöhnlich. So gab es in vielen Konventen Nonnen, die keine wirkliche Ordensberufung hatten. Auch in Männerkonventen gab es, wenn zwar wohl etwas seltener, doch ähnliches.
Wer nun ohne echte Ordensberufung sein Leben in einem Ordenskonvent zu verbringen hat, kann dort natürlich doch noch zu einem geistlichen Leben dort finden; er kann aber auch seine Enttäuschung auf verschiedenste ungute Weise ausleben.
Dies spielt für Übergriffe der letzten Jahre wohl keine Rolle mehr, aber anderes wird noch heute gelten:
Auch wer eine Berufung verspürt, kann vom Ordensleben enttäuscht werden. Schon durch einen neuen Oberen kann sich das Leben, für das man sich entschieden hat völlig ändern. Aber schwerer wiegt wohl etwas anderes: Wo Konvente die Betreuung von Kindern oder Jugendlichen zu ihren Aufgaben zählen, kann es geschehen, daß solche Aufgaben Ordensleuten übertragen werden, die dadurch durchaus nicht begabt sind, die nun im Konvent nicht ihre Berufung leben können, sondern sich aufreiben an Aufgaben, die ihnen fremd sind.
Solches kann zu sinnlosem Zwang, zu Grausamkeiten, aber auch zu sexuellen Übergriffen führen. Für sexuelle Übergriffe im Besonderen ist etwas anderes bedeutsam:
Wo immer Umgang mit Kindern und Jugendlichen selbstverständlich gegeben ist, da werden Pädophile angezogen. So sind kirchliche Kinder- und Jugendarbeit, Kinderheime und Internate für sie ein naheliegender Anziehungspunkt.
Sexuelle Übergriffe gegen Kinder und Jugendliche gehen besonders häufig von Männern aus, die sich kumpelhaft anbiedernd geben und sich damit oft sehr beliebt zu machen wissen. Wo im heutigen Pfarrleben der Eindruck entsteht, daß hier für solchen Umgang viel Raum sei, ist es für Pädophile besonders anziehend.
Gelegentlich wird darauf hingewiesen, daß solche Übergriffe sich ganz überwiegend nicht gegen Kinder, sondern gegen Jugendliche richten, es sich daher nicht um Pädophile handle. Aber das ist ein Mißverständnis des Wortes paîs: in der Antike galt Päderastie als erlaubt, jedoch nicht mit Kindern unter etwa zwölf Jahren. Paîdes bezeichnet demnach durchaus auch Jugendliche.
Wie kann es sein, daß solche Übergriffe gedeckt werden?
Es gibt eine große Scheu menschlicher Gemeinschaften, Übles nach außen dringen zu lassen – das deutsche Wort «Nestbeschmutzer», das als Schimpfwort benutzt wird, legt Zeugnis davon ab. Das durch solche Haltung, solchen Corpsgeist, Übeltaten gedeckt und verharmlost werden, sogar in der Kirche, ist schlimm – aber es geschieht.
Doch jenseits des «Right or wrong, my country», des «Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus»: daß man die Ehre der Kirche nicht durch Schandtaten beschmutzt wissen will, mag zwar verständlich erscheinen; aber eine Ehre, die auf Verleugnung von Tatsachen beruht, ist keine Ehre.
Natürlich ist es nicht angemessen, jede je geschehene Übeltat an die Öffentlichkeit zu bringen – auch die Betroffenen müssen da Mitspracherecht haben –; aber wenn Täter nicht zur Rechenschaft gezogen werden oder Betroffene keinen Zugang zu den Unterlagen bekommen, die sie betreffen, so ist das verwerflich.
Aber neben diesen beiden verwerflichen Motiven (die eigentlich verschiedene Ausprägungen desselben Motivs sind), gibt es ein anderes, das nicht verwerflich ist, sondern ein Dilemma zeigt:
Man kann keine menschliche Gemeinschaft führen ohne Vertrauen. Jeder Obere, jeder Vorgesetzte muß Vertrauen haben zu denen, die ihm anvertraut sind, mit denen er arbeitet. Beschuldigungen sind nicht von vornherein immer wahr. Daher ist es legitim, daß ein Vorgesetzter zunächst einmal, wenn jemand von seinen Untergebenen beschuldigt wird, nicht sogleich das Vertrauen zu ihm über Bord wirft, sondern die Beschuldigungen erst einmal mit Zurückhaltung anhört. Nichtsdestoweniger müssen die Opfer von Übergriffen ihr Recht bekommen, sie müssen Gehör finden. Hier ist ein echtes Dilemma; und ohne vertrauenswürdige Personen von außen einzubeziehen wird es oft nicht zu lösen sein.
Was ist gegen die Übergriffe zu tun?
Mit der Instruktion Crimen sollicitationis, 1922 von Kardinal Rafael Merry del Val herausgebracht, 1962 von Kardinal Ottaviani verschärft, hat die Kirche schon viel getan gegen sexuelle Übergriffe – doch es reichte nicht. Es folgte das Motu Proprio Sacramentorum sanctitatis tutela samt dem Brief De delictis gravioribus von Kardinal Ratzinger von 2001, 2010 noch einmal verschärft – jetzt scheint es besser zu greifen.
Das bezieht sich nur auf sexuelle Übergriffe; Grausamkeiten in Kinderheimen und Internaten geschehen heute wohl viel weniger, aber die der Vergangenheit bedürfen noch der Aufarbeitung; besonders dringlich ist, daß die Betroffenen vollen Zugang zu ihren Akten und Unterlagen erhalten.
Aber offensichtlich reicht das alles noch nicht, Übergriffe und deren Vertuschung zu unterbinden.
«Es gibt hierzulande zwei Ansätze, gegen die Krise der Kirche anzugehen; der eine: Mehr Christus, die Welt ihm untergeordnet – der andere: Weniger Christus, mehr Welt», haben wir zu Anfang des Jahres geschrieben. Auf der Suche nach einer Lösung für das Problem der Übergriffe zeigen sich wieder diese beiden Ansätze.
Die im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz verfaßte MHG-Studie Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz – ihren wissenschaftlichen Wert hat Manfred Lütz trotz des reißerischen Titels in der Tagespost (Missbrauchsstudie „mangelhaft und kontraproduktiv“) sehr differenziert überprüft – nennt (S. 13) „Klerikalismus“ «eine wichtige Ursache» für sexuellen Mißbrauch. «Klerikalismus meint ein hierarchisch-autoritäres System, das auf Seiten des Priesters zu einer Haltung führen kann, nicht geweihte Personen in Interaktionen zu dominieren, weil er qua Amt und Weihe eine übergeordnete Position inne hat. Sexueller Missbrauch ist ein extremer Auswuchs dieser Dominanz.» Amt und Weihe führten demnach im Extrem dazu, daß der Priester etwas tut, was dem Wesen dieser Weihe diametral entgegensteht.
«Die Studienergebnisse machen es aber notwendig, sich damit zu beschäftigen, welche Bedeutung den spezifischen Vorstellungen der katholischen Sexualmoral zu Homosexualität im Kontext des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen zukommt. ... Anstelle solcher Haltungen ist eine offene und toleranzfördernde Atmosphäre zu schaffen» (S. 17). Toleranz ist eine gute Sache; aber Toleranz als Mittel gegen sexuelle Übergriffe?
«Die grundsätzlich ablehnende Haltung der katholischen Kirche zur Weihe homosexueller Männer ist dringend zu überdenken.» Natürlich kann gefragt werden, ob ein homosexuell empfindender Mann nicht auch berufen sein und den Zölibat strikt einhalten kann. Allerdings an anderer Stelle (S. 259) ist zu lesen: «Homosexuelle Beziehungen oder Praktiken werden im offiziellen, nach außen hin sichtbaren Handeln der Kirche aber abgelehnt. Somit besteht die Gefahr, dass entsprechende Neigungen versteckt gelebt werden (müssen).» Wie nun: kann man Männern mit solchen Neigungen vertrauen, daß sie zölibatär leben, oder «(müssen)» diese Neigungen «gelebt werden»?
«Die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit den Themen des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger und der eigenen sexuellen Identitätsbildung im Rahmen der Priesterausbildung wurde erkannt und spiegelt sich in der Implementierung entsprechender Weiterbildungsmodule in den Priesterseminaren» (S. 53). Wenn solche Weiterbildungsmodule und «Fort- und Weiterbildungsangeboten für Priester oder Diakone» wirksam wären gegen sexuelle Übergriffe: wie kann es dann sein, daß es solche Übergriffe von intensivst ausgebildeten Psychotherapeuten gegen ihre Klienten gibt?
Soweit der Ansatz: Weniger Christus, mehr Welt. Den Ansatz: Mehr Christus, die Welt ihm untergeordnet bietet P. Komorowski, der neue Generalobere der Petrusbruderschaft, in einem Interview (Die Zukunft der Kirche sind gute und heiligmäßige Priester. Informationsblatt 10/2018):
«Es ist sehr bedauerlich, daß wir wieder von Missbrauch und Vertuschung in der Kirche hören. Wir beten für alle Opfer, aber auch für die Täter, damit sie sich bekehren und Buße tun. Viele Verantwortliche in der Kirche haben gravierende Fehler begangen, die Opfer nicht ausreichend geschützt oder sie nicht ernst genommen. Man hat Fälle vertuscht, um den guten Namen der Kirche zu schützen. Zuerst muß man aber an der Seite der Opfer stehen, vor allem der minderjährigen, und die Wahrheit, so bitter sie auch sein mag, offenlegen. Die Täter müssen ihre Schuld eingestehen, um Vergebung bitten und sich einer gerechten Strafe unterziehen. Sie haben nicht nur andere missbraucht, was an sich schon schrecklich ist, sondern die ganze Kirche verletzt und das Vertrauen in sie zerstört. Jetzt kann uns nur volle Transparenz und die konsequente Umsetzung des Null-Toleranz-Prinzips helfen, die Glaubwürdigkeit wiederherzustellen.
Letztlich liegen diesen Vorfällen aber geistliche Probleme zugrunde. Der moralische Verfall kommt von einem mangelhaften geistlichen Leben. Kleriker, die solche Taten begangen haben, verleugnen ihre Berufung. Nur wenn wieder Gott und die zehn Gebote in den Mittelpunkt gestellt werden, findet man aus dieser Krise heraus.
Auch die Formung zukünftiger Priester darf sich nicht nur auf die akademische Bildung beschränken. Eine gesunde Spiritualität, tiefe Frömmigkeit und ein Geist der Abtötung sind wirksame Präventionsmaßnahmen.»
Beachtenswert ist noch die Stellungnahme eines Seligen aus dem vorigen Jahrhundert.
Die Folgen einer Strafrechtsreform
vor 2 Wochen
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