Freitag, 12. Oktober 2018

Verführerische Tradition? Hörerbrief an den Deutschlandfunk

Der Weltanschauungs- (=Sekten-) Beauftragte des Bistums Essen hat an die Redakteurin der Religionssendung "Tag für Tag" (Deutschlandfunk), Dr. Christiane Florin, diesen Brief geschrieben. Anlaß war diese Sendung, in der u. a. Frage gestellt wurde, warum auch eher "links" orientierte Menschen sich von der Tradition der Kirche und ihrer überlieferten Liturgie angezogen fühlen.

In dem Radiobeitrag hat Frau Dr. Florin mit Husch Josten, der Autorin des Buches "Land sehen" ein Interview geführt.


Sehr geehrte, liebe Frau Dr. Florin,


ich bin als Priester und Weltanschauungsbeauftragter des Bistums Essen ein regel­mäßiger Hörer des DLF und vor allem Ihrer Sendung „Tag für Tag“.

Im Rahmen meiner Arbeit als WA-Beauftragter befasse ich mich schon seit Jahren mit der Piusbruderschaft und habe auch durchaus hin und wieder persönlichen Kontakt zu diesen Priestern. Unter denen gibt es übrigens genauso unerträgliche Priester wie im offiziellen Diözesanklerus, aber auch solche, die menschlich durchaus in Ordnung sind und versuchen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten offen und barmherzig – bisweilen so­gar fröhlich – ihr Amt zu leben. 

Vorgestern führten Sie ein hochinteressantes Gespräch mit Frau Josten, die einen Roman über ein Eifeler Benediktiner-Kloster in der Tradition der Piusbruderschaft ge­schrieben hat, das ich mir auf jeden Fall kaufen werde!

Eine Ihrer Fragen an die Autorin würde ich gern beantworten, nämlich wie es denn sein könne, dass Menschen, die eher links orientiert seien, einen Faible für die sog. Alte Messe hätten...

Dazu würde ich gern Folgendes anmerken: Als ursprüngliches Arbeiterkind mit Schwerbehinderung und Heimerfahrung aus Hamburg, das aus verschiedensten Gründen hautnah Marginalisierungen erlebt und z. T. auch erlitten hat, sehe ich meine politische Verortung nach wie vor eher im linken politischen Spektrum, wenngleich ich (trotzdem) immer weniger weiß, was ich noch wählen soll, aber das ist ein anderes Thema. Wenn links jedenfalls meint, sich für weltweite Gerechtigkeit, gegen Homo­phobie, für die Gleichberechtigung der Frauen, für die Bewahrung der Schöpfung, gegen Lohndumping und „Manchester-Kapitalismus“ etc. einzusetzen, bin ich in diesem Falle wohl eher „links“.

Auf die Kirche bezogen, meint dies: Ich bin mit Überzeugung ein Priester des Vatica­nums II, bin also für Religionsfreiheit, für Ökumene, wenn sie nicht platte Gleich­macherei zum Ziele hat, für „Nostra aetate“, wo zu Recht die Kirche erstmalig konzediert – und das ist m. E. der eigentlich schlechthinnige Paradigmenwechselvon Vat. II -, dass auch in anderen Religionen Wahres, Heiliges und Schönes zu finden sei. (Ich zitiere aus dem Kopf, sorry.) 

Aber: Und jetzt kommt der Grund, warum ich Ihnen eigentlich schreibe: Dennoch kann ich – wenigstens z. T. – der Liturgie, die vor ihrer Reform in der ganzen Kirche galt, etwas abgewinnen:

Zunächst hat sie eine klare Struktur. Dann sehne ich mich bisweilen einfach danach, die Messe mit dem Rücken zum Volk zu zelebrieren, und zwar nicht deshalb, weil mir meine Gemeinde – was ja schlimm wäre – zuwider wäre, sondern, weil wir einander – gleichsam permanent – ausgesetzt sind. Das eigene Beten fällt mir dadurch schwer und einige Leute fühlen sich von mir beobachtet, obwohl ich das jedenfalls keineswegs bewusst tue. Und sich als Priester gewissermaßen in dieselbe Richtung wie das Gottesvolk zu stellen, zeugt doch eher von Gleichheit – wir alle, Priester und Gläubige, sind vor Gott simul peccator et iustus – als dieses Gegenüber von heute. Wobei ich auch nicht grundsätzlich dafür wäre, die Zelebrationsrichtung im Neuen Ritus wieder gänzlich zu ändern...

Die Alte Messe ist wegen ihrer festen, manchmal sicher auch zu starren Form auf jeden Fall nicht der Gefährdung ausgesetzt, dass der Priester „sein eigenes Ding“ macht: endlose Herzensergießungen zu Beginn der Messe, statt einer knappen Ein­führung in das jeweilige Tagesgeheimnis. Das Schlimmste, was ich übrigens diesbe­züglich mal erlebt hatte - ich war so wütend, dass ich nicht mehr zur Kommunion gehen konnte -, war eine 45minütige Einleitung noch dazu auf Italienisch eines profilneu­rotischen älteren Priesters, der eine Gruppe von Aushilfspriestern zu einem Deutsch­kurs begrüßte, die in den Sommerferien in deutschen Gemeinden aushelfen sollten. 

Dann – was ich häufig bei Priestern der Konzilsgeneration erlebe -, dass sie anfangen die Liturgie nach ihrem eignen Gusto zu verändern: Umformulierungen der Messtexte, Gebete etc. In der Regel werden diese Texte zum einen selten besser, und zum an­deren – da bin ich sicher eher konservativ: es sind ja nicht meine Texte, die ich vor­trage und lese, sondern die Texte der Kirche, deren Diener ich bin. Als Kaplan musste ich erleben, dass ein Priester dieser Generation – mein damaliger Chef - die Osternacht folgendermaßen um­stellte: Er hat zunächst die AT-Lesungen genommen und erst danach den Licht-Ritus mit Osterkerze etc. Auf meinen Vorhalt, dass das einer Diskriminierung des (jüdischen) Gottesvolkes gleichkäme (weil ja das Licht erst nach „deren“ Lesungen käme) und dass er zugleich – nolens volens – nicht berücksichtige, dass Jesus als Sohn Gottes der Erstgeborene der Schöpfung sei und also auch schon vor dem AT existiert habe und ich es zuletzt auch nicht in Ordnung fände, die wichtigste Feier des Kirchenjahres einfach umzustellen, kam nichts, was mich auch nur im Ansatz zufrieden gestellt hätte.

Und schließlich gibt es noch eine Unart, die es bei der Alten Messe gar nicht erst geben kann: Dass vor allem die 68er-Priester anfangen, alles und jedes, was in der Messe an Gesten und Riten geschieht, durch z. T. auch noch redundante Geschwätzigkeit – angeblich mundgerecht - ihren Gläubigen meinen servieren zu müssen. Diese angeb­lich ja so aufgeklärten „demokratisch“ gesinnten Priester, die häufig auch noch be­haupten, nur so wie sie es machten, sei es ja eigentlich wahr und richtig, verhunzen dadurch nicht nur die Liturgie, sondern entmündigen zugleich die Gläubigen, weil diese ja angeblich zu blöd seien, ohne deren lichtvolle Erläuterungen der Liturgie ange­messen folgen zu können. Aber es gibt doch eine Suffizienz der Liturgie, d. h. sie er­klärt sich aus sich selbst, wenn sie würdig und gut gefeiert wird, ohne dass deshalb alle in Ehrfurcht erstarren müssten. (Man kann übrigens beide Formen des Lateinischen Ritus verhunzen: durch Lieblosigkeit, durch einfaches „Herunterbeten/lesen“ etc.)

Und nun komme ich zu jenem Punkt, der mir besonders wichtig ist: Was nämlich die Paramente (Messgewänder etc.) des Priesters betrifft, hat es – z. T. jedenfalls – nach dem Konzil einen Wildwuchs gegeben, der mich bis heute tief betrübt: Nicht nur die alten Hochaltäre wurden von den „katholischen Bilderstürmern“ der 1960er-Jahre – darunter viele übereifrige Priester, die ja den angeblichen Ballast der letzten Jahrhun­derte meinten loswerden zu müssen – z. T. buchstäblich auf den Scheiterhaufen (der Geschichte) verb(r)annt und durch z. T. hanebüchene Stahlkonstruktionen ersetzt (siehe z. B. St. Georg, Essen-Heisingen), auch die Messgewänder aus dieser Zeit wurden entweder ein Fraß der Motten oder auch verb(r)annt. Wenn man z. B. franzö­sische Kathedralen besucht, kann man Glück haben, wenn einige dieser z. T. hoch wertvollen und schönen Gewänder in (meistens schäbigen) Schaukästen hängen. Ge­tragen werden sie jedenfalls so gut wie gar nicht mehr, sondern wurden ersetzt durch hässliche Mantelalben oder wie in Deutschland häufig zu sehen: durch hässliche, bieder-spießige Messgewänder mit z. T. dicken Zopfmusstern, die gutwillige Paramentenvereine der Gemeinden angefertigt haben, und nun angeblich als modern gelten. Furchtbar, sage ich Ihnen! Auch dass es kaum noch Priester gibt, die zu den nichteucharistischen Feiern – z. B. Beerdigungen, Taufen, Hochzeiten, Stundengebeten etc. – Chormäntel tra­gen, verstehe ich nicht, denn dieses besonders würdige Kleidungsstück hatte die Liturgie­reform niemals abgeschafft. Kurzum: „Klamottentechnisch“ gesehen bin ich wohl eher einen Piusbruder, obwohl mir deren (fundamentalistisches) Elitedenken und die Diskriminierung Andersglaubender/lebender natürlich zuwider ist.

Und ein Letztes noch: Wir laufen in der nachkonziliaren Kirche Gefahr, Christus zum immer nur lieben Jesulein zu verharmlosen/zu verkitschen. Texte des NT (des AT ohnehin), die anstößig sind, werden von immer mehr Hauptamtlichen (auch Gläubigen natürlich) abgelehnt, z. T. auch von Priestern. Aber Jesus war eben gerade nicht der harmlose Schwiegermuttertyp, der überall die Soße der Harmonie gekippt hätte, sondern es gibt auch jenen Mann aus Nazareth, der bisweilen richtig heftig ausgeteilt hat: Und es bedarf in der Tat einer gewissen – auch intellektuellen Anstrengung – diese Texte auszulegen und auch „zu bepredigen“, statt – wie ich jetzt wieder einmal über einen Priester gehört habe: „Nein, an diesem Sonntag gibt es keine Predigt, weil ich mit dem Evangelium nichts anfangen kann!“. Er bezog sich auf Mk 9,38 ff, wo Jesus u. a. fordert: „Wenn dich deine Hand zum Bösen verführt, dann hau sie ab; es ist besser für dich, verstümmelt in das (ewige) Leben zu gelangen, als mit zwei Händen in die Hölle zu kommen, in das nie erlöschende Feuer.“ 

Ich bin wirklich der Letzte, der sich nach dem Rex tremendae majestatis der 1940/50er-Jahre und früher zurücksehnt und davon ausgeht, dass die meisten Menschen ohnehin – wenn sie Glück haben – entweder im Fegefeuer landen, wo es ja nach ergangener Läuterung immerhin noch einen Weg in den Himmel gibt, oder doch direkt in der Hölle als ewigem Ort der Verdammnis. Aber wir müssen doch auch ernst nehmen – natürlich unter Beachtung der historisch-kritischen Exegese -, dass das Gottes- u. Jesusbild der Bibel zu kurz griffe, aus ihnen brave, harmlose Hampelmänner zu machen. Die Welt, in der ich jedenfalls lebe, lehrt mich etwas anderes... Es muss doch weiter deshalb eine Form der Verkündigung geben, die weder einem harmlosen Hampelmann-Gott das Wort re­det noch einem rachedurstigen Buchhalter- und Willkürgott, vor dem wir alle nur arme, sündige, unmündige Würstchen sind..., zumal ich natürlich nicht davon ausgehe, dass Purgatorium und Hölle buchstäbliche Orte endloser physischer Qualen wären.

Nun habe ich viel mehr geschrieben, als ich wollte. Aber es war mir wichtig, auf Ihr Gespräch und Ihre ja durchaus berechtigte Frage zu reagieren. 

Bei all dem gilt natürlich: Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts. Und eine Kirche, die sich für sakrosankt hält, statt schonungslos und ehrlich vor ihrer eigenen Haustür zu kehren – Stichwort: Missbrauchsskandal bei gleichzeitiger Diskriminierung jener, die den moralischen Vorgaben der Kirche nicht entsprechen können oder wollen – hat ihre Daseinsberechtigung durch eigenes Versagen verloren. Die Schönheit und Erha­benheit einer auch nachkonziliaren Liturgie wird natürlich schal und hohl – bessere Beschreibungen fallen mir gerade nicht ein -, wenn sie in einem falschen Geist von Klerikalität etc. gefeiert wird, statt zur Freude der Gläubigen (und Ungläubigen, z. B. Weihnachten) und vor allem zur höheren Ehre Gottes.

Auch wenn ich wegen der neuesten Schlagzeilen über die Kirche manchmal total niedergeschlagen bin, bin ich immer noch gerne Priester und versuche – wie übrigens viele meiner Mitbrüder und sog. Laien auch – so gut es geht den Dienst an den Men­schen und für Gott zu tun, was sicher nicht leicht ist in einer Welt, in der die Kirche ihre Glaubwürdigkeit und Integrität weitgehend – leider zu Recht - verloren hat...

Wie dem auch immer sei: Meiner Lieblingssendung „Tag für Tag“, wünsche ich von ganzem Herzen immer mehr Hörer/innen, die Freude haben an den Themen der Sen­dung und deren kongeniale Umsetzung durch Redakteur/innen wie Sie! 

Liebe Frau Florin, Sie dürfen gerne meinen Brief an die Autorin Frau Josten weiter­leiten, wenn Sie mögen, und ihr mitteilen, dass ich mich auf deren Buch sehr freue!

Ich wünsche Ihnen noch einen Goldenen Oktober und genug Muße für sich selbst trotz des sicher aufreibenden Jobs beim wunderbaren DLF!

Mit freundlichen Grüßen

© Gary Lukas Albrecht

Siehe hierzu auch den Beitrag: "Erstes Erleben der Alten Messe

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