Als „religiös unmusikalisch“ bezeichnet sich Prof. Norbert Bolz im Untertitel seines Buches «Das Wissen der Religion» und macht sich doch Sorgen, angepaßtes Christentum sei Wegbereiter des Antichristen. Das klingt ansprechend, auch wenn nach zwei Jahrtausenden Kirchengeschichte der weniger unmusikalische Mensch zurückhaltender ist mit eschatologischen Einordnungen. Und so lese ich mit Interesse die
Vorbesprechung.
Ein Leben ohne Gott führe in eine gnadenlose Knechtschaft des Zeitgeistes und damit unter das Diktat dessen, was als politisch korrekt gelte – ja, richtig! Der Antichrist werde den guten, politisch korrekten Menschen zum Vorbild erklären – einleuchtend!
Aber dann: das Reden von „sozialer Gerechtigkeit“ sei nichts anderes als die Maske des Neids. Nun ist doch bekannt, daß in unserer Gesellschaft das Einkommen der Wohlhabenden immer mehr steigt, das der Arbeiter und gar das der Arbeitslosen und Rentner sinkt – ein Siegeszug der Habgier der wirtschaftlich Mächtigen auf Kosten der Schwachen. Es ist keineswegs der Neid, sondern der christliche Glaube selbst, der dagegen die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit setzt.
Und wenn nun der Autor diese Forderung nach sozialer Gerechtigkeit zur Ersatzreligion erklärt, die den traditionell „gnädigen Gott“ ersetze, so impliziert das, daß, weil Gott gnädig ist, der Mensch das nicht sein dürfe. Mit diesem Gedanken zeigt der Autor, daß er in der Tat „religiös unmusikalisch“ ist.
Und wenn es dann heißt, in der Sozialreligion übernehme der Staat eine göttliche Rolle, und weiter: die Erfahrung der letzten Jahrzehnte zeige, daß Deutschland immer tiefer in einen „Staatsgötzendienst“ hineingeraten sei, so wundert man sich, daß der Autor nicht bemerkt, daß er in einem Land des Sozialabbaus und der Privatisierungen lebt, daß wir immer mehr einem
Marktgötzendienst anheimfallen.
Der Hauptstrom der vorgefertigten öffentlichen Meinung ist heute die Marktgläubigkeit; mit seinen Warnungen vor staatlichem Handeln zeigt der Autor, daß er viel mehr einer modischen Ersatzreligion verfallen ist als die, gegen die er aneifert.